Die Macht der Weiblichkeit

 

 

Wenn wir über das Unaussprechliche im Zusammenhang mit den weiblichen Geschlechtsorganen reden, dann wird klar, dass spätestens jetzt die Zeit gekommen ist, der Vulva die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie schon viel zu lange vermisst hat. Denn offensichtlich ist es immer noch nicht selbstverständlich über die Vulva zu sprechen oder sie ins weibliche Selbstbild einzubeziehen und das trotz feministischer Aufklärungsarbeit. Mit Kampagnen wie Viva la Vulva von Kim Gehring oder dem Buch Viva la Vagina von Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl werden Augen geöffnet und das fabelhafte Organ mit all ihren wunderschönen Facetten glorifiziert. Und auch ich sende eine Liebesbotschaft an alle Frauen, die sich vielleicht noch nicht getraut haben genauer hinzuschauen, die sich mit der Schönheit, die in ihrem Schoß ruht, noch nie wirklich auseinandergesetzt haben, um zu erkennen, dass sich jede einzelne Lamelle wie eine Blüte zärtlich zwischen den Schenkeln ausbreitet und sich nur danach sehnt, berührt zu werden. Und das meine ich nicht im übertragenen Sinne, meine Berührung meint, ihr zuhören, mit ihr kommunizieren, sich ihrer unmittelbaren Gegenwart bewusst werden, ihre Schönheit mit der ganzen Welt teilen. Das ist der Anfang einer unbesiegbaren Macht, die Macht der Weiblichkeit.

 

Geschichte 

Warum gibt es ganze 13 Wallfahrtsorte für die heilige Vorhaut Jesu, aber keinen einzigen für das Hymen der Jungfrau Maria?  Mithu M. Sanyal befasst sich mit ihrem Buch »Vulva: Die Enthüllung des ‘unsichtbaren Geschlechts’« über geschichtliche Thesen des Abendlandes anhand des weiblichen Genitals in einer Kultur in der Kinder in dem Glauben, dass Jungen ein »hervorragendes Symbol« (Freud), also einen Penis haben, während das Genital von Mädchen »nur eine Abwesenheit liefert« (Lacan). Das weibliche Geschlecht wird als Loch, als Leerstelle, als Fehlen von etwas beschrieben – was angesichts dieses hochkomplexen Organs schier unglaublich erscheint! Also hier noch mal die Aufklärung: Die Vulva ist der äußerlich sichtbare Teil des weiblichen Geschlechtsorganes, der sich in Vagina, Eierstöcken und Gebärmutter fortsetzt und immer wieder ignoriert oder fälschlicherweise als Vagina bezeichnet wurde bzw. wird. Somit passiert Folgendes: Was verschwiegen wird, existiert auch nicht. Durch dieses Stigma haben Frauen Jahrhunderte lang kein Geschlecht, sondern nur ein Loch, ein Nichts gehabt.

Und wegen dieser Geschichte sind wir heutzutage auch immer noch nicht ganz geheilt. Eine Tradition, die sich zumindest in den meisten Erziehungen fortgesetzt hat, nicht zu vergessen durch den fehlenden und meist unzureichenden Sexualunterricht, in dem die Vagina nur halb beschriftet und der G-Punkt teilweise gar nicht benannt wurde. Die Auseinandersetzung mit der Vulva blieb für viele Frauen leider oft verwehrt. Deswegen ist es umso wichtiger, jetzt ein politisches Statement zu setzen. Ein Statement, welches Frauen emanzipiert, sich ihrer Lustquelle anzunehmen und ihre Schönheit völlig ungeniert zu präsentieren.

 

Zensur und falsche Ästhetik

Auch die Zensur trägt dazu bei, dass die Weiblichkeit in ihrer vollen Pracht verstümmelt wird. Während wir auf Instagram oder Facebook männliche Brustwarzen darstellen können, werden die weiblichen direkt verbannt. Während Schwanzbilder ständig durchs Netz gejagt und mit Stolz präsentiert werden, bekommen Vulven nur eine sehr geringe Aufmerksamkeit. Und wenn Vulven dann gezeigt werden, entspricht das meist nicht der Realität. Hier liegt der Ursprung vom Unwissen der eigenen Anatomie. Kindliche Schönheitsideale animieren zum Retuschieren an Fotografien und zu operativen Eingriffen, um sich einer falschen Perfektion anzupassen. Dabei macht gerade die Vielfalt der unverwechselbaren Vulven den Unterschied, ob die Schamlippen groß oder klein sind, spielt überhaupt keine Rolle. Jede einzelne Blüte ist schön auf ihre Art und Weise und sollte nicht beschnitten werden, gerade wenn man sich vor Augen führt, dass in einigen Ländern die Genitalverstümmelung immer noch praktiziert wird. Keine Frau sollte sich angesichts dessen ihrer Einzigartigkeit berauben.

@CharlesKPhotography ( + Cover Picture )

 

Vulva Vielfalt: 

»Die Macht der Weiblichkeit« hat mich inspiriert. Zusammen (mit dem Künstler von I Show Flag) werden wir die Vielfalt der Vulva in Gipsabdruck und Fotoprint manifestieren. Das ist eine Einladung für alle Frauen, die ihrer Vulva eine Liebesbotschaft widmen wollen. Ziel dieses Projektes ist eine positive Wahrnehmung für mehr Bewusstsein, Akzeptanz und Aufklärung zu vermitteln. Durch die Konfrontation mit einer persönlichen Intimfotografie sowie Abformung ergibt sich nicht nur die Gelegenheit den eigenen Intimbereich aus verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten, sondern auch die Möglichkeit des Vergegenwärtigens der Diversität und Individualität jedes Einzelnen.

I Show Flag: »Ich finde, diese Abdrücke haben eine ähnliche Wirkung auf den Betrachter wie ein Mosaik – nur dass es umgekehrt ist. Je weiter man von einem Mosaik weg ist, desto vollständiger wird das Bild. Bei den Gipsabdrücken ist es andersrum. Je weiter man von ihnen entfernt ist, desto diffuser wird das Bild. Je näher man an sie herangeht, desto konkreter wird es. Für mich ist das auch eine schöne Symbolik dafür, wie wir gesellschaftlich mit Vulven umgehen.«

 

Meine Vision: »Ich betrete einen lichtdurchfluteten Raum umringt von zahlreichen riesigen Prints in Schwarz / Weiß. Auf diesen Darstellungen erkenne ich Anmut in abstrakter Form. Ich kann darin alles Mögliche erkennen, wie meine Blüten von denen ich vorhin noch gesprochen habe, aber vor allem sehe ich, dass jede einzelne Blüte ihre ganz persönliche Geschichte zu erzählen hat. Eine Geschichte von unzähligen Knospen, die lange gereist sind und die nie gefragt wurden, wer sie sind und wie sie sich überhaupt fühlen. In diesem Moment verabschieden wir uns von den stummen Traditionen und blicken nach oben, auf etwas Majestätisches, in einer anderen Dimension, von der wir in der Zukunft noch reden werden. Denn dort ruht die wahre Macht der Weiblichkeit.«