Die Zukunft der Liebe

 

 

 

Am Wochenende habe ich mir so meine Gedanken gemacht, ausgelöst durch verschiedene Begegnungen, gegenwärtige Enttäuschungen und dem Bewusstsein, das nichts mehr so ist, wie es einmal war. Wie funktioniert die Liebe in unserer heutigen Gesellschaft und wo führt sie uns hin? Während einige versuchen, die Liebe fürs Leben über Dating-Apps zu finden, weil die Zeit, die bleibt, neben Arbeit und diversen Hobbys doch sehr gering ist und der Strudel in dem sie sich bewegen, keine Nähe hergibt, bringen die nüchternen Erfahrungen eher Enttäuschungen als reelle Vorstellungen von einer Partnerschaft mit sich. Jeder ist geprägt von Erlebnissen aus der Vergangenheit, jeder hat irgendwie sein Päckchen zu tragen und keiner ist wirklich bereit sich neu zu öffnen. Was bleibt ist eine Art Wegwerfgesellschaft, die sich zwar immer wieder neuen Beziehungen annimmt, allerdings ohne auf das eigene Innenleben zu reagieren sowie alte Beziehungen ernsthaft zu reflektieren.

Damals hat man sich verliebt, sich seinen Gefühlen komplett hingegeben ohne darüber nachzudenken, ob es sich lohnt, ob es richtig ist oder nicht. Damals hat man aufgeschrien, man war verliebt und jeder sollte es wissen. Heute wirkt es fast wie eine Bestrafung, wenn man zu viel will, wenn man seinen Gefühlen Ausdruck verleiht. Meistens ist das Gegenüber überfordert und kann mit diesen Ausbrüchen von Empfindungen nur schwer umgehen. Folge ist dann: Rückzug! Die Beziehung in ihrem Entstehen hat keine Chance sich zu entwickeln. Die Kommunikation bleibt auf der Strecke, Offenheit, Aufrichtigkeit, all diese wichtigen Werte, finden keinen Platz im zugeknöpften Herz, welches sich erst erinnern muss, wie es sich einmal angefühlt hat zu lieben. Zu viele Enttäuschungen lassen auf der anderen Seite keinen Spielraum für eine freundschaftliche Verbindung. Die Person war da und ist wieder weg. All die schönen Erinnerungen an eine vertraute Zeit versinken in Wut, Niedergeschlagenheit und wollen möglichst schnell vergessen werden.

 

Und wieder: Wenn wir über Liebe reden, hat man manchmal den Eindruck, dass es sich dabei um ein Schimpfwort handelt, etwas das es uns unmöglich macht zu empfinden, laut auszusprechen, wenn man sich danach sehnt. Unsere Gesellschaft eicht uns darauf stark zu sein, zu funktionieren, dabei bloß keine Verletzlichkeit zu zeigen. Die Ausmaße dessen sind uns vielleicht noch nicht bewusst, aber die Zukunftsmelodie spielt heute schon im Ansatz die verzweifelten Töne jener, die sich nicht mehr trauen, sich einer Person gegenüber zu öffnen, Gefühle darzulegen, weil sie in der Vergangenheit zu stark verletzt wurden. Die Antwort lautet dann: virtuelle Liebe, Roboter, die gegen Einsamkeit zum Einsatz kommen und den Menschen Liebe suggerieren, ohne zu verletzen. Oder: Nachrichten schreiben, anstatt eine Person zu treffen, sich ihr mitzuteilen, ohne ihr wirklich gegenüberstehen zu müssen.

Während vor vielen Jahren »Romeo und Julia« unsere Herzen erobert haben, finden jetzt gesellschaftskritische Filme wie »Her« einen Platz im Zentrum der vereinsamten Seelenwelt. Und tatsächlich sieht so die Wahrheit aus. Wir treffen Menschen jeden Tag, wir verabreden uns gezielt in der Hoffnung Liebe zu finden und haben eigentlich gar kein Gespür dafür was die Person, die gegenübersitzt, bewegt. Erst mal geht es nur darum, sich selbst möglichst ins beste Licht zu rücken, aufmerksam zu machen, auf all die schönen Vorzüge hinzuweisen, zu beweisen, dass die andere Seite gerade in diesem Moment einen echt guten Fang gemacht hat. Wie oft habe ich nur zugehört und mich dabei ertappt, dass gar kein Austausch stattgefunden hat. Bei einer meiner letzten Begegnungen meinte der Mann zu mir: »Ich weiß nicht, wie ich das mit uns einschätzen soll, du flirtest gar nicht oder so.« Kurz habe ich mich wie eine Maschine gefühlt, die sich für ein Date direkt dazu bereit erklären muss zu flirten, dabei entstehen doch solche Attraktionen von ganz allein und mit der Zeit, wenn man sich näherkommt. Aber wie viel Zeit bleibt, um einer Person die Chance einzuräumen, sie kennenzulernen? Wartet nicht an der nächsten Ecke schon die nächste Gelegenheit, die schneller Liebe verspricht?

Die Schnelllebigkeit in unserer Sozialstruktur lässt kaum Spielraum sich einer einzigen Person anzunehmen, diese interessant genug zu finden, sodass es über ein paar Monate hinaus weiterlaufen könnte. Es ist wie Fast Food, welches kurzerhand verspeist und dabei nie wirklich auseinandergenommen wurde. Die interessanten Zutaten findet man aber erst, wenn man sich Zeit nimmt, sie zu entdecken. 

 

Wer in der glücklichen Position ist, seinen Partner in Crime bereits gefunden zu haben, sollte sich täglich daran erinnern, dass er das große Los gezogen hat. Halt an deiner Liebe fest, wie es so schön heißt und auch wenn sich die Liebe verändert, sich in einer Art freundschaftlichen Verbindung wiederfindet, ist das alles, was zählt. Liebe bliebt ein Mysterium, aber auch ich halte an meinen Grundsätzen fest, die Ehrlichkeit und Offenheit kommuniziert, ich glaube daran, dass es sich irgendwann wieder echt anfühlen wird, wenn man genau der Person gegenübersteht, die genauso empfindet wie man selbst. Mein zugeknöpftes Herz wird also nie wirklich zugeknöpft sein.

 

Auszug aus »Die Liebe und ihr Verfall in der heutigen westlichen Gesellschaft« – Erich Fromm– 

»Der moderne Kapitalismus braucht Menschen, die in großer Zahl reibungslos funktionieren, die immer mehr konsumieren wollen, deren Geschmack standardisiert ist und leicht vorausgesehen und beeinflusst werden kann. Er braucht Menschen, die sich frei und unabhängig vorkommen und meinen, für sie gebe es keine Autorität, keine Prinzipien und kein Gewissen – und die trotzdem bereit sind, sich kommandieren zu lassen, zu tun, was man von ihnen erwartet, und sich reibungslos in die Gesellschaftsmaschinerie einzufügen; Menschen, die sich führen lassen, ohne dass man Gewalt anwenden müsste, die sich ohne Führer führen lassen und die kein eigentliches Ziel haben außer dem, den Erwartungen zu entsprechen, in Bewegung zu bleiben, zu funktionieren und voranzukommen. Was kommt dabei heraus? Der moderne Mensch ist sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur entfremdet. Er hat sich in eine Gebrauchsware verwandelt und erlebt seine Lebenskräfte als Kapitalanlage, die ihm unter den jeweils gegebenen Marktbedingungen den größtmöglichen Profit einzubringen hat.  Die menschlichen Beziehungen sind im Wesentlichen die von entfremdeten Automaten. Jeder glaubt sich dann in Sicherheit, wenn er möglichst dicht bei der der Herde bleibt und sich in seinem Denken, Fühlen und Handeln nicht von den anderen unterscheidet. Während aber jeder versucht, den Übrigen so nahe wie möglich zu sein, bleibt er doch völlig allein und hat ein tiefes Gefühl von der Unsicherheit, Angst und Schuld, wie es immer entsteht, wenn der Mensch sein Getrennten nicht zu überwinden vermag.«

»Menschen, die unter unserem gegenwärtigen System zur Liebe fähig sind, bilden in jedem Fall die Ausnahme. Liebe ist zwangsweise eine Randerscheinung in der heutigen westlichen Gesellschaft, und das nicht so sehr, weil viele Tätigkeiten eine liebevolle Einstellung ausschließen, sondern weil in unserer hauptsächlich auf Produktion eingestellten, nach Gebrauchsgütern gierenden Gesellschaft nur der Nonkonformist sich erfolgreich gegen diesen Geist zur Wehr setzen kann. Wem also die Liebe als einzige vernünftige Lösung des Problems der menschlichen Existenz am Herzen liegt, der muss zu dem Schluss kommen, dass in unserer Gesellschaftsstruktur wichtige und radikale Veränderungen vorgenommen werden müssen, wenn die Liebe zu einem gesellschaftlichen Phänomen werden und nicht eine höchst individuelle Randerscheinung bleiben soll.«