Ruby Blue

 

 

»I was five and he was six
we rode on horses made of sticks.
He wore black and I wore white
he would always win the fight.

Bang Bang
He shot me down
Bang Bang
I hit the ground.«

 

Das Lied, das Ruby sanft zu weichen Jazz Melodien in das Mikrofon haucht, lässt die Casino Gäste für einen Augenblick verstummen. Mit ihrer Ausstrahlung, den tragischen Tiefen ihrer Augen, dem eindrücklichen Verständnis in ihrer Stimme kreiert sie eine Geschichte und lässt die Zuschauer daran teilhaben. An einem Ort, wo ständig gefeiert wird, die Leute Entertainment in Form nackter Tatsachen erwarten, hat Ruby einen kleinen Zufluchtsort gefunden. Ruby ist Mitte 30, hat blonde, wallende Haare und blutrote Lippen. Ihr Aussehen erinnert an die vollendete Schönheit der Frauen aus den 20er Jahren, nicht perfekt, aber zu interessant um wegzuschauen. Sie trägt ein schwarzes, enges Etuikleid, sie zeigt nie viel Haut, aber wirkt immer verführerisch. Egal welchen Raum Ruby betritt, begleitet sie eine elegante Atmosphäre, sie weiß sich zu bewegen. Stolz und selbstbewusst streift sie wie eine Gazelle Nacht für Nacht durch die Casino Gänge des »Harrah’s«.

»Eye, gazelle, delicate wanderer, Drinker of horizon’s fluid line; Ear that suspends on a chord. The spirit drinking timelessness; Touch, love, all senses…«

 

Donnerstags bekommt Ruby immer einen kleinen Auftritt im Barbereich des Casinos, um ihre traurigen Coversongs zu präsentieren. New Orleans ist ihre Stadt und das Casino ihr Zuhause. Mit den Auftritten kann sie im Hotel übernachten, ein fairer Deal. Danach folgt sie einem Gast zum Pokertisch, sie sucht sich denjenigen aus, der viel riskiert und am Ende ihre Gesellschaft mit einem hohen Preis bezahlt. Sie lebt im »Harrah’s« mittlerweile mehr als 7 Jahre, eine lange Zeit, die ihr wie eine Momentaufnahme vorkommt. Ruby spürt die Vergänglichkeit der Jugend, immer wenn sie nach den Auftritten vor dem Spiegel sitzt, um ihr Gesicht mit ein wenig Farbe zu beleben, sieht sie die abgelebten Spuren, ihre Haut, die langsam an Glanz verliert und wie sie diesen Zustand des Älterwerdens kaum noch ertragen kann. Nie musste sie sich über ihr Aussehen Gedanken machen, mittlerweile kann sie sich nur noch mit Schminke im Spiegel betrachten. Ein tiefer Seufzer füllt ihre Lungen.

»Oh Ruby Blue, look at you.«

 

»Ruby Blue« ist ihr Künstlername, den sie sich selbst gegeben hat. Damals mit 28, als sie zum ersten Mal die Tore des »Harrah’s« betrat, war sie bereit für ihre Show. Sie war wild, abenteuerlustig, ein wenig naiv, aber so was von bereit. Viele Enttäuschungen lagen hinter ihr, nachdem sie von Ort zu Ort wanderte, um ihre Erfüllung zu finden. Liebe nannte sie ihr Schicksal. Dabei begegnete sie Männer, die sich nicht auf etwas Ernstes festlegen wollten, aber gleichzeitig ihrer sexuellen Ausstrahlung erlagen. Männer, deren erotische Fantasien sich in Ruby’s Gestalt widerspiegelten, aber keinen Platz für eine Weiterführung fanden. Ruby hatte genug davon, stets zweifelte sie an sich selbst und verwandelte deshalb ihre Enttäuschung in eine starke Mauer aus Selbstbewusstsein.

Sie hat der Liebe den Rücken zugewandt und wollte seitdem nur noch erobern, um danach fallen zu lassen. Manchmal, wenn sie sich danach fühlte, verführte sie die Männer am Pokertisch und wählte den Höchstbietenden für eine Nacht aus. In der Suite angekommen, verwandelte sie sich dann in die Nymphe, die die Männer von ihr erwarteten. Danach verschwand sie stillschweigend, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.

 

Als Ruby gerade die letzten Strophen ihres Nancy Sinatra Coversongs singt, bemerkt sie einen speziellen Gast. Dieser Mann ist anders. Er ist nicht hier um Spaß zu haben, eine melancholische Aura umgibt ihn, sie fühlt sich irgendwie zu ihm hingezogen. Ihre Blicke treffen sich. Blicke, die von Verständnis und tiefen Sehnsüchten geprägt sind. Sie denkt an Jim, eine vergangene Affäre, Jim, der ihr zahlreiche schlaflose Nächte bescherte. Sie denkt an Neil, der ihr Liebe versprach und sich dann in eine andere verliebte. Sie denkt an Mat, der sich nicht getraut hat zuzugreifen, als sie bereit war alles für ihn aufzugeben. Sie denkt an all die Männer, die ihr Herz gebrochen haben. Sie singt die letzten Strophen und wendet ihren Blick ab. Sie kann keine weitere Enttäuschung riskieren, sie würde bei sich bleiben, stark, unzerbrechlich, eine Frau, die dadurch vielleicht nie ganz glücklich sein wird, aber zumindest würde ihr eine gewisse Traurigkeit erspart bleiben, eine Traurigkeit, die sie nur zu gut kennt. Sie singt die letzten Strophen und schaut zurück in die Menge, sie blickt in die Augen gieriger Männer, die nach Ruby’s Aufmerksamkeit schreien. Sie blickt auf die blinkenden Anzeigetafeln vor den Fenstern. Sie blickt auf einen leeren Platz.

»Now he’s gone
I dont know why.
And till this day
sometimes i cry.
He didn’t even say goodbye
he didnt take the time to lie.

Bang Bang
He shot me down
Bang Bang
I hit the ground
Bang Bang
That awful sound
Bang Bang
My baby shot me down.«

 

»Ruby Blue«