Unter deiner Haut

 

 

Mittwoch ist der Tag, an dem Chloe einen von ihren zwei festen Klienten besucht. Jede Woche verabredet sie sich einmal mit Steve und einmal mit Sebastian für einen Zeitraum von 2 Stunden. Beide haben durch Chloe die Wichtigkeit von Intimität kennengelernt. Ein Gefühl, das vielen Menschen in dieser modernen Gesellschaft verloren gegangen ist, ein Gefühl, welches auch sie vergessen haben in ihr Leben zu integrieren und aufrecht zu halten. Sie wollen sich auf zukünftige Beziehungen einlassen, lernen zu geben, anstatt zu nehmen. Chloe zeigt ihnen, wie es geht und wird dafür bezahlt. Sie ist viel mehr eine Psychologin als eine Prostituierte, trotzdem spielt Sex eine entscheidende Rolle bei ihren Treffen.

 

Steve öffnet Chloe die Tür zu seinem Apartment. Am Anfang haben sie sich in einem Hotel verabredet, mittlerweile hat sich ihre Beziehung weiterentwickelt und Chloe besucht ihn zu Hause. Bei ihren Sitzungen tauschen sie sich über alltägliche Erfahrungen aus. Wie er seine Umwelt wahrnimmt, mit welchen Frauen er sich verabredet, wie er versucht, seinen Alltag im Job zu meistern. Chloe selbst bleibt dabei eher im Hintergrund. Hier und jetzt geht es einzig und allein um Steve’s Entwicklung. Sie zeigt ihm, wie er durch eine Art tantrisches Ritual mehr auf die eigenen sowie des Partners Körpersignale reagiert. Steve hat das Bett vorbereitet, beide ziehen sich aus. Sie betrachten sich lange, ohne sich zu berühren. Sie schauen sich in die Augen und nehmen den Körper des Anderen wahr.

Chloe fragt Steve, was er sich wünscht, was er denkt, wenn er sie so betrachtet. »Ich finde deinen Körper wunderschön und ich würde ihn gerne berühren.« »Deine Lippen verraten mir, dass du gerne geküsst werden willst«, sagt Steve in einem sehnsuchtsvollen Tonfall. Chloe kommt ein Stück näher. »Steve ich möchte, dass du jetzt aktiv wirst und nur durch Augenkontakt und sanften Berührungen zeigst, was du gern mit mir machen möchtest und was du denkst, was ich mir wünsche«, fügt Chloe hinzu. Steve fängt ganz langsam an ihren rechten Arm zu berühren, er streichelt ihre Hand, jeden einzelnen Finger, bis zu den Ellenbogen. Chloe schließt die Augen für einen Moment, ihr Ausdruck signalisiert Gefallen. Steve tastet sich weiter zu ihrem Bauch, über ihre Brüste, über die Brustwarzen bis zu ihrem Gesicht. Er hätte nie gedacht, dass er so viel geben kann, wenn er sich nur ein wenig Zeit nimmt und darauf achtet, was er damit bei dem Gegenüber auslöst. Früher ging es direkt zur Sache. Wenn er eine Frau traf, waren tiefgründige Gespräche sowie Berührungen wie diese, die er mit Chloe teilt, eher unwichtig, sein Instinkt hat ihn darauf getrimmt, zum Abschuss zu kommen. Eine Frau zu finden, sie zu umgarnen, sie zu ficken und auf ihr abzuspritzen. Befriedigung war nur von kurzer Dauer. Durch Chloe erfährt er eine neue Art der Sexualität, nämlich die, auf die es eigentlich ankommt. Sein Leben hat sich stark verändert. Mittlerweile nimmt er sich selbst und andere Menschen ganz anders wahr.

 

Steve verbringt eine gute Stunde einzig mit aktiven Berührungen. Er streichelt Chloe’s Körper. Er spürt, dass sie bereit ist und massiert ihre Klitoris. Heute will er sie zum Höhepunkt bringen, heute geht es um Chloe und nicht um seine eigene Lusterfüllung. Er fingert sie und schaut ihr dabei zu, wie sie sich genussvoll in die weichen Laken fallen lässt. Er kniet vor ihr auf dem Boden mit seinem Kopf zwischen ihren Schenkeln, er leckt und fingert abwechselnd ihre Klitoris, er kreist um ihre Schamlippen und saugt an seinen Fingern, diesen Vorgang wiederholt er ein paar Mal. Mittlerweile hat er Chloe so gut erforscht, dass er weiß, wie sie zum Höhepunkt kommt. Er hat mit einer Technik, die ein schnelles, kurzes Stoßen von Daumen, Mittel- und Zeigefinger benötigt, gelernt sie zum Squirten zu bringen. Chloe stöhnt laut und bespritzt seine Knie. Er leckt ihre Innenschenkel, küsst ihre Vulva. Sie ist mehrmals gekommen. »Steve, ich möchte, dass du mich jetzt fickst«, flüstert Chloe in sein Ohr, während er sich behutsam auf sie legt. Er dringt in sie ein und küsst ihre Wangen. Sie küsst seinen Hals, berauscht von dem Gefühl, von den Orgasmen die er ihr gerade geschenkt hat, lieben sie sich noch eine Weile.

 

Ein anderer Tag: Jeden Freitag Nachmittag trifft sich Chloe mit Sebastian in einem Hotel, welches als Ort ihrer Sitzung gilt. Es ist das dritte Meeting, Sebastian ist noch ganz am Anfang. Er kennt sich mit körperlicher Nähe nicht aus, zu viele Ängste aus vergangenen Beziehungen haben ihn zu dem gemacht, was er heute ist. Gefangen in seiner eigenen Unsicherheit, dem Geben wollen, aber nicht wissen, wie es funktioniert, dem allmählichen Verstumpfen von echten Gefühlen über einen sehr langen Zeitraum, lassen entscheidende Emotionen verkümmern. Berührungen fühlen sich für ihn seltsam an. In seinem Beruf als erfolgreicher Unternehmer geht es nur darum Stärke zu beweisen, Verletzlichkeit ist fehl am Platz. Er hat vergessen wie es ist zu lieben und geliebt zu werden. Nur verschwommen kann er sich an die Vergangenheit erinnern, als er ein junger Mann war und Zuneigung für eine Segnung hielt. Chloe versucht ihm zu helfen, Schwächen zu zeigen. Beim letzten Mal hat er geweint, als sie seinen Kopf streichelte und mit ihren Fingern um seine Augenbrauen glitt. Sie lässt ihn diese Empfindungen zum Ausdruck bringen, sie provoziert seine verloren gegangenen Sensoren.

Heute möchte Chloe, dass sich Sebastian vor ihr auszieht. Er soll nackt dastehen, während sie auf dem Sessel vor ihm sitzt, dabei bleiben sie in dieser Haltung für genau 10 Minuten. 10 Minuten, die sich für ihn wie eine Ewigkeit anfühlen. Er merkt, wie er ab und zu nach einer Möglichkeit sucht, den Augenkontakt zu vermeiden, der ungewollten Auslieferung  zu entkommen. Chloe trägt ein seidenes Nachthemd und beobachtet Sebastian. »Schau mich an Sebastian, das ist wirklich wichtig«, fordert sie ihn auf. Er blickt wieder zu ihr. »Wir befinden uns in dieser Position seit 3 Minuten, noch weitere 7 Minuten warten auf dich, lass dich darauf ein. Du siehst gut aus, du hast einen schönen Körper, eine wundervolle Haut, es gibt nichts, wofür es sich zu schämen lohnt!« Sebastian fühlt sich in seiner eigenen Haut allerdings gar nicht wohl, durch die vielen Geschäftstermine, hat er seinen Körper vernachlässigt. Für Sport bleibt kaum Zeit und auch seine Ernährung besteht eher aus Gelegenheiten, den Snacks zwischendurch, den Lunch- und Dinnerterminen mit potenziellen Kooperationspartnern.

 

Nach und nach entspannt sich Sebastian langsam. Er fängt an, das Gefühl des Beobachtens zu ertragen. All seine Unsicherheiten verwandeln sich in eine wohlwollende Selbstverständlichkeit. »Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern.« Diese Worte hört er zu sich selbst sagen. Chloe spürt die positive Veränderung und kommt ihm ein wenig entgegen. Sie spreizt ihre Beine, sodass er Einblick auf ihr Innerstes bekommt. Sie berührt ihre Oberschenkel, wandert mit den Fingern weiter und führt schließlich beide Zeigefinger in sich ein. Steve erforscht ihr Vorgehen mit Erregung. Er massiert seinen Schwanz. Beide streicheln sich selbst in ekstatischer Wollust und blicken sich dabei tief in die Augen.

 

Viele versteckte Sehnsüchte können durch Lust erlebt werden. Viele versteckte Sehnsüchte, die manchmal nicht mal mehr eine Berührung brauchen, sondern das Verlangen, ein Verständnis, welches sich in den Gesichtern zweier Menschen widerspiegelt.