Alle Tage wieder

 

 

Es sind die Sonntage, an denen ich besonders stark reflektiere. So wie an diesem, an dem ich eigentlich zum Yoga gehen wollte, aber stattdessen alte 8mm Filme aus der Vergangenheit schaue und Butterkekse kaue. Ich war ziemlich ambitioniert, hatte schon mein Saunahandtuch und die Sportkleidung eingepackt und dann geschah es plötzlich, so wie jeden Monat; meine Periode kam. Die starken Bauchkrämpfe machten mir einen Strich durch die Rechnung und ich erinnere mich beim Betrachten der Bilder aus der Vergangenheit, meiner Vergangenheit, dass ich immer lieber Hosen trug und mit Jungs spielte, als mich mit dem Thema der eigenen Weiblichkeit auseinanderzusetzen.

Ich erinnere mich genau an diesen Tag, der alles verändern sollte, als ich mit meinem Bruder und seinem Freund mit Wasserpistolen durch die Büsche unseres Gartens rannte. Es war Juli, es war heiß und die Jungs entledigten sich ihren T-Shirts, also tat ich ihnen gleich. Plötzlich stürzte Christian, der Freund meines Bruders auf mich zu, während ich ihm frontal das ganze Gesicht mit meiner Wasserpistole bespritzte und er mir schnurstracks das Shirt um die Schultern legte. Er sagte: »Zieh das mal lieber an.«, und ich erwiderte »Ey, du bist eigentlich tot.« Ich lies die Wasserpistole enttäuscht ins Gras fallen und schaute auf mein Dekolleté, an dem zwei kleine Hügel ihre Form veränderten. Ich zog mir beleidigt das Shirt über meinen roten Lockenkopf und fühlte mich ausgeschlossen. Ich war traurig darüber, dass ich anscheinend nicht mehr ungeniert oben ohne rumlaufen konnte, so wie meine Freunde in der heißen Mittagshitze. Ich war entsetzt, als ich auf die Toilette ging und aus heiterem Himmel Blut in die Toilettenschüssel tropfte. Ich wusste dass war das Ende einer unbekümmerten Kindheit; ich würde mich also zu einer Frau entwickeln und all die Vorteile, die das Männersein mit sich bringt, nie erfahren. Ich war sauer auf meinen Bruder und überhaupt auf alle Jungs. Eine seltsame Erwartungshaltung, die Mädchen von Jungs unterscheidet, wurde mir schon früh klar, aber bis zu jenem Zeitpunkt konnte ich sie immerhin noch leugnen. Es fühlte sich wie eine unangenehme Bürde an, die ich fortan tragen sollte, ob ich wollte oder nicht. Ich musste mich meinem Schicksal ergeben und in eine Rolle schlüpfen, die mir zumindest damals nicht wirklich gefiel.

 

Das Bluten und die dazugehörigen Beschwerden, die jeden Monat aufs Neue meinen Körper verließen und gleichzeitig unangenehm innehielten, verfluchte ich. »Du wirst dich daran gewöhnen«, meinte meine Mutter und sie sollte recht behalten. Damals war das allerdings ein furchtbarer Gedanke, sich jeden Monat mit diesen unerwünschten Begleiterscheinungen anfreunden zu müssen. Ich habe Glück, meine Beschwerden beschränken sich auf ein paar unpässliche Vorankündigungen, die meine Stimmung verändern und auf nur einen Tag während des Einsetzens der Periode mit Unwohlsein, an dem ich lieber im Bett bleibe, anstatt zum Sport zu gehen, ganz ohne Aspirin. Das ist verkraftbar im Vergleich zu anderen Frauen, die teilweise bis zu einer Woche gehemmt sind, weil starke Regelschmerzen ihre Lebensqualität einschränkt. Endometriose heißt das schlimmste Leiden, eine chronische, sehr schmerzhafte Erkrankung, die kaum auszuhalten ist und bei der manche Frauen sich sogar ihre Gebärmutter komplett entfernen lassen, um wieder etwas Normalität zu gewinnen, allerdings zu einem hohen Preis, dem Aufgeben des eigenen Kinderwunsches.

 

Letzten Freitag war Internationaler Frauentag und das erste Mal ein Feiertag hier in Berlin. Auch ein Thema, über das ich momentan sehr viel reflektiere, während ich mir meinen Bauch streichle und die unbekümmerten Szenen aus fernen Kindheitstagen betrachte. Was hat sich wirklich verändert für die Frauen heutzutage? Außer das sich Independent-Werbekampagnen trauen eine rot gefärbte statt einer sterilen blauen Substanz auf ihre Binden tröpfeln zu lassen und das Männer jetzt auffordern, Pleasure statt Blumen zu schenken?

 

Die göttliche Weiblichkeit als etwas Wunderbares wahrnehmen fällt uns immer noch nicht leicht. Zu viele Jahre von Stigmatisierung und Scham gehen mit der Vagina sowie dem monatlichen Menstruationsblut einher. Rund 200 Millionen Mädchen wurden bereits weltweit beschnitten, weil ihr Geschlecht als unrein gilt, während der Penis, als Männlichkeitssymbol stolz triumphiert und seine Beschneidung sogar gefeiert wird. Es geht um die Rechte der Frauen und das nicht nur am Internationalen Weltfrauentag, sondern an jedem Tag, besonders an den blutigen, die uns stets vor Augen führen, was wir Monat für Monat opfern und über viele Jahre als unangenehmen Dauerzustand aushalten, nachdem wir zuvor schwerelos im Garten mit freiem Oberkörper durch den Sommer tanzten.

Kein Zufall, dass ich seitdem in meiner Fotografie stets die weibliche Brust glorifiziere. Das ist meine Art der Rebellion, um auf das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern aufmerksam zu machen, die durch die Zensur immer noch zeigt, dass diese Disparität existiert, im Jahr 2019, genau hier vor unseren Augen.