Zufällige Begegnungen

 

 

Wie seltsam doch manche Ereignisse im Leben stattfinden, wie oft man sich «zufälligerweise« erneut über den Weg läuft. Wenn ich über die Erfahrung mit Tobias nachdenke, erinnere ich mich vor allem daran, was danach passiert ist und wie jede Begegnung seine Bestimmung hat, ob gut oder schlecht.

 

Als ich mit Tobias über ein mögliches Treffen im Ohlala-Chat schrieb, entdeckte ich zeitgleich sein echtes Profil. Passiert ist dies, als er mir aus Versehen eine I-Message sendete und mir sein kompletter Name direkt vor Augen geführt wurde. Also googelte ich natürlich. Tobias ist Fotograf. Die Geschichte, um seine Person hat mich animiert ihn für diesen Abend zu Daten, obwohl, und das sagte er mir kurz vor unserer Verabredung, er kein Geld hätte, er mir aber dieses später überweisen könnte, wenn das für mich passt, ansonsten würde er unsere Verabredung absagen. Natürlich ein Beispiel, wo jeder wahrscheinlich direkt ein neues Date gesucht hätte. Aber ich war interessiert an seiner Arbeit sowie seiner Persönlichkeit, also willigte ich für dieses Date ein. Hätte ich seine Person durch seine Unachtsamkeit nicht erforschen können, wäre ich ihm also nie begegnet.

Wir verabredeten uns in einer Kreuzberger Bar. Tobias kam etwas zu spät, ich saß bereits auf der Terrasse mit meinem ersten Gin Tonic und einer Zigarette. Er war ein großer, sehr kräftiger Mann, die Bilder, die ich sah, waren doch anziehender, aber ich wollte mich überraschen lassen. Wir fanden einen direkten Draht durch seine Fotografie. Er erzählte mir über seine Shootings. Die Locations, die er dafür auswählte, hat er an freien Tagen zu jeder Zeit getestet. Er wusste, wann wo die Sonne am günstigsten stand, wann wo die wenigsten Menschen unterwegs waren und welche Orte sich besonders lohnten, als Hintergrundkulisse. Wir waren gut drauf und verstanden uns. Also gingen wir zu ihm. Seine Wohnung war klein, sehr spartanisch eingerichtet, ich wusste, dass die Sache mit dem Geld wahrscheinlich aussichtslos sei. Diese Summe würde allein für seine Miete draufgehen. Ich schrieb meine Bankdaten auf eine kaffeebespritzte Serviette, die auf dem Tisch im Wohnzimmer lag.

 

Ich bezahlte zum ersten Mal, bei solch einem Rendezvous meine eigenen Getränke und auch den Wein, den wir später noch bei ihm köpften, ging auf meine Rechnung. Irgendwie fühlte ich mich körperlich nicht zu ihm hingezogen, aber mochte ihn, über das Erzählte, war er mir sympathisch. Ich schlief mit ihm, leicht angetrunken, warum kann ich im Nachhinein nicht erklären. Da war keine Magie, der Sex war unbefriedigend. Er fühlte sich allerdings sehr stark zu mir hingezogen, auf eine romantische Weise, all die kleinen Details, wie der Moment als ich meine Bankdaten aufschrieb, waren nicht nach seinem Geschmack, das konnte ich an seinem Gesichtsausdruck sehen. Ich denke, dass Tobias tatsächlich normale Affären über Ohlala gesucht hat, die nichts mit Geld zu tun haben, in der Hoffnung, das sich mehr daraus entwickeln würde.

Wir verabschiedeten uns und ich erinnerte ihn noch mal an das Geld. Ich ging betrunken die Straßen entlang, der Weg zur nächsten S-Bahn Stadion war extrem weit. Als ich in meinem Kiez landete und mich auf eine Bank setzte, um eine letzte Zigarette zu rauchen, kam Sabrina auf mich zu. Sabrina war eine Obdachlose, hochschwangere Frau. Sie fragte mich nach einer Zigarette, ich zögerte kurz, als ich ihren voluminösen Bauch betrachtete, gab ihr aber trotzdem eine. Sie setzte sich zu mir und erzählte mir ihre komplette Lebensgeschichte. Sie hatte ihren rechten Fuß in einen Verband gewickelt. Ich sprach sie darauf an. Sie lebte auf der Straße, Nähe Ostkreuz mit anderen Obdachlosen und ihren drei Hunden. Ihr Fuß hatte sich entzündet und ist nie wieder geheilt. Wie das passiert ist, konnte sie allerdings nicht erzählen. Generell fand ich ihre Geschichten und all die Umstände, die sie auf die Straße brachten, extrem fesselnd. Ich hatte Mitgefühl, ich wollte ihr irgendwie helfen. Ich wusste, ich konnte ihr helfen, ich verdiene mein eigenes Geld und bin finanziell ganz gut aufgestellt, gleichzeitig dachte ich an Tobias und die bizarre Wendung, die merkwürdigen Gefühle, die mich in diesem Moment mit Sabrina auf dieser Bank zusammenführten.

Ein wenig später fand ich mich umzingelt von etlichen Vagabunden, die jeden Tag ums Überleben kämpfen, ich hörte ihnen zu. Wir tranken, wir lachten, wir rauchten, bis die Sonne aufging. Ich war schon lange nicht mehr bis zum Morgengrauen unterwegs.

 

Am nächsten Tag verabredete ich mich mit Sabrina, um ihr ein paar Dinge zu geben. Ich ging in die Apotheke und holte eine Salbe für ihren Fuß, ein paar Verbände und Vitamine. Ich gab ihr etwas zu essen aus meinem Kühlschrank. Sabrina war im 8. Monat schwanger, konnte kaum laufen und allmählich rückte der Herbst näher. Wir trafen uns wieder an derselben Stelle wie die Nacht zuvor. Ich überreichte ihr meine Sachen, die ich ihr besorgt hatte und sie war glücklich für diesen Moment.

Tobias hat sich natürlich nicht wieder bei mir gemeldet oder sagen wir anders, er hat sich gemeldet, seine Absichten hatten aber nichts mit dem Geld zu tun. Er wollte mich wieder treffen, ich beließ es bei dem einen Abend, sinnend der nachhallenden Erfahrung, die ich später gemacht hatte.

Zwei unterschiedliche Leben treffen aufeinander, verbunden einzig und allein durch Mitgefühl und dem Bewusstsein, das diese Welten nicht unterschiedlicher sein konnten. Es war eine Nacht, in der ich viel über mich gelernt habe. Ich habe meinen versprochenen materiellen Wert nie erhalten, aber dafür eine erweckende Erkenntnis. Es war die zufällige Begegnung mit Sabrina sowie die selbst gewählte mit Tobias, die sich an diesem Abend überschnitten haben. Der Gedanke etwas zu wollen, etwas aufzugeben, etwas zu machen, wonach einem überhaupt nicht der Sinn stand und am Ende jemandem zu begegnen, deren Lebensumstände ganz anderer Substanz waren. Die Kleinigkeiten, die ich ihr gab, haben natürlich nicht viel daran verändert, aber zumindest, so war ich mir sicher, ein Stück weit verbessert.

Vielleicht sollte mich diese Nacht daran erinnern, worauf es wirklich ankommt, dass man manchmal nur gibt, ohne etwas dafür zurück zu bekommen, das es Schicksale gibt, die Welten von der eigenen entfernt liegen und doch so nah beieinander sind.