Mariella

 

 

Regentropfen plätschern auf die Blätter des Ahornbaumes vor ihrem Fenster. Sie liegt im Bett und betrachtet aufmerksam den Verlauf, der in sich einsackenden Blätter durch die Schwere einzelner Tropfen. Manchmal verweilt sie für Stunden, denkt nach und versucht neue Dinge zu kreieren. Im letzten Jahr hatte sie einige Dates, manche waren besonders aufregend, manche waren merkwürdig, manche gingen ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wenn sie schreibt, verarbeitet sie die Geschichten, nur dann kann sie diese wahrnehmen, sich erinnern, die Worte in etwas Bleibendes verwandeln.

Schon früh hat sie das Schreiben für sich entdeckt, indem sie unausgesprochene Gefühle zu Papier brachte, immer dann, wenn sie sich nicht anders mitteilen konnte.

Sie nimmt ihr Notizbuch zur Hand, blättert darin und liest zum ersten Mal, was im vergangenen Jahr passiert ist. Es waren drei Männer, die sich immer wieder bei ihr meldeten, es waren drei grundverschiedene Bedürfnisse, die es zu befriedigen galt. Mariella liebt Herausforderungen, sie interessiert sich für das Innenleben der Menschen. Sie mag regelmäßige Treffen mehr als einmalige Verabredungen. All zu gern taucht sie dabei in die Seelenwelten der anderen, nur so kann sie in Bewegung bleiben, nur so gerät sie niemals in Stillstand. Dafür begibt sie sich gelegentlich in seltsame Situationen, die nicht zu erklären sind, geschweige denn wirklich zu verarbeiten. Alles wirkt für sie dennoch natürlich, ein Stück weit verständlich. Sie blickt zurück.

 

Mariella besuchte Charlie im Hotel. Immer wenn er in Berlin war, meldete er sich bei ihr. Es war eine subtile Begegnung. Charlie wünschte sich nur zu beobachten:

»Wenn ich Charlie treffe, will er nur eins, er will, dass ich mich ausziehe und mich vor ihm befriedige. Er ist dabei komplett angezogen, schiebt den Sessel ganz nah ans Bettende und beobachtet mich. Er wartet so lange, bis ich einen Orgasmus habe, vorher darf ich den Raum nicht verlassen. Ich klopfe an sein Zimmer, er öffnet lautlos die Tür, dann betrete ich die Suite mit Blick über den Tiergarten. Im Chat haben wir bereits alles besprochen, sodass keine weiteren Worte nötig sind. Tatsächlich haben wir nie Worte gewechselt, es bleibt eine stumme Vereinbarung und ich halte mich daran. Ich ziehe mich langsam vor dem riesigen Fenster mit Panoramablick aus, während er jede Regung genau betrachtet. Nachdem ich mich ausgezogen habe, lege ich mich auf das Bett. Ich streichle meine Brüste, streichle meinen Bauch und schaue ihn dabei an. Seine Blicke verraten mir, wo ich mich als Nächstes berühren soll. Manchmal lässt er mich warten, bis ich tiefer gehen darf. Dann kreise ich mit meinen Fingern um meine Klitoris, tauche abwechselnd mit Zeige- und Mittelfinger ein, merke, wie feucht ich bin, tupfe, schlage, wünsche mir berührt zu werden. Dann stelle ich mir vor, wie es seine Finger sind, seine Blicke auf meinem Körper erregen mich.

Er selbst berührt sich dabei nie, er findet Gefallen daran sich meiner Lust rein visuell auszuliefern. Ich darf nicht stöhnen, nur hauchen, selbst wenn ich komme, bleibt es eine stille Vereinbarung, so wie immer.«

 

Boss war anders. Wenn Mariella in sein Appartement kam, provozierte er sie ständig. Er verlangte viel und nahm sich ihren Körper ganz selbstverständlich:

»Mit Boss verabrede ich mich meistens an den Nachmittagen. In seinem Apartment dusche ich mich als Erstes, auch wenn ich das schon zuhause gemacht habe. Er will immer, dass ich mich gründlich reinige, bevor er mit mir spielt. Er hat einige Utensilien mit denen er sich auf unsere gemeinsame Zeit vorbereitet: einen Ballknebel, Lederpeitsche, Bondage Tape, Analplug, Vibrator und Rohrstock. Es turnt ihn an, wenn ich vor Schmerzen schreie, dabei habe ich festgestellt, dass ich nicht besonders viel aushalte. Boss ist ungefähr 2 Meter groß, ein Bär von einem Mann und manchmal denke ich darüber nach, wie er mir sämtliche Knochen brechen könnte, wenn er wollte.

Einmal ist er eingeschlafen, nachdem ich seinen Schwanz lutschte und er mir auf die Titten spritzte. Das war wirklich harte Arbeit, sein Schwanz war genauso riesig wie der Rest seines Körpers. Er steckte ihn so tief in meinen Mund, dass die Tränen aus meinen Augen schossen. Als er danach einschlief, versuchte ich mich aus seinen Armen zu befreien, aber er ist wieder aufgewacht. Dann nahm er eine Art Bürste vom Nachttisch und kratzte mit schnellen, heftigen Bewegungen über meinen Po. Ich schrie laut auf, er forderte mich auf zu verschwinden, er wollte seine Ruhe haben.

Im Spiegel habe ich anschließend meine Wunden betrachtet. Meistens waren es Blutergüsse und Kratzer, die die Rückseite meines Körpers schmückten. Ich weiß, ich kann Boss nicht all zu oft besuchen, ich weiß, dass ich zwischendurch auch ein paar Zärtlichkeiten brauche.«

 

Lou gab Mariella genau diese vermissten Zärtlichkeiten. Er begehrte sie und ihre Beziehung vertiefte sich:

»Ich mag Lou, er macht mir ständig Komplimente. Er ist wie ein unreifer Junge, der noch an die Liebe glaubt, sich blind hineinstürzt, wenn er meint, sie entdeckt zu haben. Wenn wir miteinander schlafen, ist es vor allem eins: leidenschaftlich, sinnlich, liebevoll. Bei den ersten Treffen hat er mich noch für meine Gesellschaft bezahlt, später konnte ich das nicht mehr. Es hat sich irgendwie falsch angefühlt. Er hat mich kennengelernt, wie ich bin, mit all meinen Lastern, den nie enden wollenden Sehnsüchten, die ich in mir trage. Ich habe nie nach Liebe gesucht, manchmal macht es mir Angst. Was, wenn ich es nicht mehr kann? Es ist leicht Zuneigung auf Kommando zu geben, wenn man etwas als Gegenleistung bekommt, aber jetzt haben sich die Dinge verändert. Wenn mich Lou berührt, nimmt er sich Zeit, er untersucht jede einzelne Stelle meines Körpers. Wenn er zwischen meinen Beinen versinkt, schaut er mir dabei tief in die Augen und bringt mich zum Höhepunkt.

Ich spüre, dass ich Lou gestern zum letzten Mal gesehen habe, ich konnte mich einfach nicht fallen lassen. Ich habe Angst vor einer Zukunft. Er hat meine Wunden betrachtet und wusste, dass ich nie aufhören werde, dass ich irgendwie immer auf der Suche bin. Dieses Bedürfnis von Liebe scheint mir unmöglich zu stillen «