Strandgeflüster
»Open the door!«, »this is a police operation, open the door!« Mitten im Liebesspiel werden Andrew und Irina in die Realität zurückgeholt. Helle Lichter blenden ihre müden Augen. »What the fuck?«, Andrew versucht, Irina’s nackten Körper mit seinem zu bedecken. Die Scheiben des Volvos sind von der Hitze beschlagen, nichts zu erkennen, außer die störenden Blenden von Taschenlampen, die hektisch herumwirbeln. Eigentlich wollten es sich die beiden einfach nur gemütlich machen, eigentlich hatten die beiden nichts Böses im Sinn, als sich bedenkenlos ihrer Liebe hinzugeben. Eine Liebe, die gerade erst entstanden ist.
Vier Wochen hatte er für seine Mexiko Reise eingeplant, diese Reise sollte sich ungewollt verlängern, als Andrew eines Abends seine Kreditkarte verlor und ihn damit aufforderte, länger zu bleiben. Ein Rückflug nach Sydney war erst mal nicht möglich. Er musste auf seine neue Karte warten. Ein Missgeschick, das ihn nachträglich in eine wohlige Zufriedenheit hüllt.
So geschah es, dass sich Andrew nur kurz über den Verlust seiner verloren gegangenen Kreditkarte ärgerte. Schnell verwandelte sich dieser Unmut in eine optimistische Sichtweise, genau in dem Moment, als er auf die unendlichen Weiten des Meeres blickte. Er würde einfach ein paar Tage länger in dem gemütlichen Hostel am Strand bleiben. Es hätte schlimmer kommen können, dachte er sich: Zu Hause wartete eh nur Arbeit, also begrüßte er diesen Zustand als willkommene Fügung. Andrew wusste die Feste zu feiern, wie sie fallen, wahrscheinlich sollte es genau so passieren, wahrscheinlich sollte sich irgendwas Besonderes ereignen in der Zeit, in der er unfreiwillig in Mexiko verweilen würde.
Vor einer Woche, genau an dem Tag, als sich Andrew seinem besagten Schicksal fügte, machte er die Bekanntschaft von zwei Freundinnen, die sich im Hostel »Che Babel« einbuchten. Simone und Adele haben sich selbst erst auf ihrem Trip durch Amerika kennengelernt und sind seitdem zusammen weitergereist. Simone kam aus der Schweiz und Adele aus Frankreich. Andrew war den beiden sofort sympathisch: ein großer, selbstbewusster, gut aussehender Mann. Egal, wo Andrew auftauchte, war er Mittelpunkt, ein gern gesehener Gast, man wollte ihn einfach dabeihaben, er ist jemand, der mit spontanen Ideen, witzigen Anekdoten, seinem Geist, seiner Präsenz, Räume füllt. Er ist ein Mann, der das Leben zu genießen weiß. Liebe ist für ihn wie ein Tanz, Monogamie existiert nicht. Teilen nennt er seine Mission, Sex findet für ihn im Kopf statt, der Körper führt diese natürlichen Impulse aus.
Nach dem kurzen Aufeinandertreffen im Hostel, beschlossen die drei Freunde weiterzuziehen auf eine Party direkt am Strand. Es war eine herrliche Sommernacht, der Strand, das Meer unmittelbar in der Nähe, Adele und Simone tanzten, sie sahen so verdammt heiß aus. Sie küssten sich mitten auf der Tanzfläche. Dann küssten sich alle drei, es war so viel Liebe im Verborgenen, vor allem aber Respekt gegenüber diesem erotischen Zusammenspiel. Angeschwipst stürzten sich Simone, Adele und Andrew in die riesigen Wellen von Tulum, umzingelt von eiskaltem Wasser gaben sie sich ihrer Lust hin. Das kalte Wasser ließ den Alkohol verblassen, die warmen Küsse schenkten Geborgenheit, all ihre Berührungen verschwammen in einem Bündel drei vollkommener Körper, die irgendwie zusammenpassten. Am nächsten Morgen lagen sie im Bett des Hostels und lachten über ihr kleines Abenteuer am Strand. Andrew war glücklich: erst verliert er seine Kreditkarte und dann passieren solche Dinge, genau, wie er es vorhergesehen hatte. Die beiden Frauen packten ihre Taschen, ihre Reise ging weiter und Andrew verabschiedete sich von ihnen.
Eine Woche später in demselben Hostel lernt Andrew die Argentinierin Irina kennen. Während Andrew sein Bier an der Bar schlürft, setzt sich Irina zu ihm. Andrew hat nun eine Woche länger als geplant in Tulum verbracht und er wusste, es würde noch ein bisschen dauern bis seine Kreditkarte ankommen und er zurück nach Sydney fliegen konnte. Das kleine Abenteuer mit den beiden Freundinnen spukte wild in seinem Gedächtnis herum. Irina ist unglaublich schön und er mag ihre Gesellschaft, auch wenn sie sich nicht unterhalten können, tauschen sie mit einfachen Handzeichen unglaublich viele Worte, sie verstehen sich. Vor allem aber tauschen sie Berührungen, eine kleine Umarmung hier, tiefe Blicke da, die Luft brennt förmlich vor Verlangen.
Die beiden mieten sich ein Auto, um ein Stück weiter den Strand von Tulum entlangzufahren. Das Hostel ist zu überfüllt, beide wollen mehr als geheime Streicheleinheiten unter der Decke austauschen, sie wollen hart übereinander herfallen, vögeln, schreien, temperamentvoll sein, an einem Ort, an dem sie sich ausleben können mit einer himmlischen Kulisse, dem Geräusch der Wellen, welche vom Wind getragen gegen das Kliff peitschen.
Irina sitzt auf Andrew’s Schoß und zieht ihr Shirt aus. Ihre Brüste sind perfekt, ihre Haut glatt und weich. Er muss sie berühren, ihren warmen Körper spüren. Er streichelt ihre Brüste, er streichelt ihren Bauch. Seine Hände wandern zwischen ihre Beine unter ihren Rock. Sie stöhnt vor Leidenschaft, als er nur flüchtig mit seinen Händen unter ihren Po greift, um sie auf die Rückbank zu legen. Andrew beugt sich über Irina, er zieht ihren Rock und Slip nach unten und entkleidet sich. Er will gerade in sie eindringen, da klopft es an die Scheibe. »Open the door!«, »this is a police operation, open the door!«…
Wie sich später herausstellte, war dies ein typisches Beispiel mexikanischer Überwachung im Sinne von Bestechungsgeld. Die zwei Polizisten haben die beiden beobachtet und erst in dem Moment, als sie wirklich eindeutig zugange waren, zugeschlagen. Nach mehreren Versuchen die Lage friedlich zu beenden, zahlte Andrew das verlangte Bestechungsgeld. Die Polizisten verließen den Strand und gaben ihnen den Hinweis, dass sie jetzt zum Ende kommen könnten, wenn sie wollten. Andrew und Irina fuhren so schnell es ging zurück zum Hostel. Während der Fahrt lachten und weinten sie über diese absurde Situation, eine Situation, die sie mehr zueinander führte. Irina kam nach Sydney für ein paar Monate, sie liebten sich ohne Kompromisse. Auch wenn sie heute kein Paar mehr sind, blickt Andrew gern zurück und genießt die Erinnerungen, die Überschneidung erotischer Aufeinandertreffen sowie das merkwürdige Ereignis mit den zwei Polizisten am Strand von Tulum. Tulum, ja das war definitiv eine Reise mit ungeplanter Verlängerung wert.