Der Geist in Mir

 

 

»He walked down a busy street
Staring solely at his feet
Clutching pictures of past lovers at his side
Stood at the table where she sat
And removed his hat
In respect of her presence
Presents her with the pictures and says
These are just ghosts that broke my heart before I met you,
These are just ghosts that broke my heart before I met you«

 

 

»Lover, please do not
Fall to your knees
It’s not
Like I believe in
Everlasting love«

 

Bereits vor 11 Jahren erschien der Song »Ghosts« von Laura Marling, eine Sängerin, die ich sehr bewundere und der ich mich in gewisser Hinsicht nahe fühle. Poetisch spricht sie über vergangene Geister, die es schwer machen sich neu zu verlieben, Geister, die Herzen brechen und seither nicht mehr verschwinden.

 

Ein paar Jahre später entstand ein neuer Trendbegriff: »Ghosting«. Unter Ghosting versteht man einen vollständigen Kontaktabbruch in Beziehungen, Freundschaften und Datinggeschichten, welches sich zu einem ausgeprägten Phänomen entwickelt hat, dank gestiegener Verbreitung von SMS, Chatdiensten und digitalen Kennenlernplattformen. Habt ihr so was schon mal erlebt? Ich noch nicht, natürlich wohnen auch in mir Geister inne, die ich aus vergangenen Zeiten mit mir herumtrage und die es mir ab und an schwer machen, mich ganz einzulassen. Aber einen kompletten Kommunikationsabbruch während einer Beziehung, in welcher Form auch immer, habe ich noch nicht erlebt. Da war zumindest immer die Ansage da, dass man es besser findet, sich nicht mehr zu sehen, weil man nicht auf derselben Wellenlänge ist oder weil es eventuell zu verletzten Gefühlen kommen könnte.

Natürlich gehören wir alle zu einer modernen Gesellschaft, die viel über Whats App kommuniziert und die Frage bleibt, warum eigentlich? Haben wir uns so sehr daran gewöhnt, dass wir uns lieber hinter dem Bildschirm mit angreifbaren, emotionalen Texten verstecken, als einfach kurz einen Anruf zu tätigen oder sogar einfach zu verabreden, wenn möglich ohne Gespräche digital zu entfesseln? Früher war telefonieren normal, kurze Verabredungen wurden ausgemacht und der Rest wurde erst mal nicht weiter thematisiert. Heute findet man es seltsam, wenn auf einmal das Handy klingelt, nachdem man eine Nachricht gesendet hat. Direkter geht es nicht und fast jeder beschreibt diesen Move als gewaltsam. Dann doch lieber eine Sprachnachricht, da kann man in Ruhe zuhören und überlegen, wie man darauf reagieren möchte. Erst kürzlich unterhielt ich mit meinem guten Freund darüber. Er entzieht sich knallhart diesem Trend, er hat keine Lust mehr sich mit dem Medium SMS zu identifizieren und wirkt dadurch auf seine Mitmenschen, besonders auf seine gegenwärtigen Liebhaberinnen, sehr verletzend. Und ich hatte tatsächlich das Gefühl, das gerade wir Frauen, auf ein unerwartetes Nachrichtenverhalten sehr empfindlich reagieren. Wenn auf einmal keine Emojis mehr gesendet werden und die vertraute Wortwahl knapper ausfällt.

Warum fällt es uns leichter manche Dinge geschrieben zu formulieren, als sie mit dem Gegenüber direkt zu besprechen?

Ich erinnere mich an meine Kindheit und die ersten Anfänge meiner doch sehr expressiven Ausdrucksform dem Schreiben, ausgelöst durch mein Elternhaus, indem es manchmal nicht möglich war, Meinungen offen darzulegen und zu diskutieren. Ich habe also früh begonnen meine Emotionen zu Papier zu bringen und habe diese meinen Eltern in Briefform zugesteckt. Auf der einen Seite entfaltete sich so mein Schreibtalent und die Faszination für das geschriebene Wort kam zum Vorschein. Auf der anderen Seite habe ich mich oft aus der Affäre gezogen, wenn es in heiklen Situationen auf ein klärendes Gespräch ankam. Ein Fluch und ein Segen, aber ich kann es genau zuordnen. Später habe ich mir beigebracht nicht nur über das Schreiben meine Gefühle zu kommunizieren, sondern direkt mit den Menschen, die mir wichtig sind zu reden. Ich wollte etwas verändern, meine inneren Dämonen brachten mir Erlösung. Eine offene Haltung gegenüber tief sitzenden Empfindungen ist seitdem nicht mehr wegzudenken, aber auch das ist etwas, was nicht jedem gefällt. Mehrmals habe ich mit dieser Offenheit, Panik verursacht, weil die meisten ihre Geister doch lieber im Zaum halten. Kontrolliert wird mit Abstand Zeit gewonnen und die Erklärung erfolgt, wie sollte es anders sein, meist in digitaler Form.

Dennoch hat mich der Begriff und der Zustand, der mit Ghosting einhergeht, sehr schockiert. Wenn man sich vorstellt, dass wir heutzutage so leicht austauschbar sind und mit nur einem Swipe eine frische Seele manipulieren können, ein Seelenleben, das vielleicht viel sensibler reagiert, als es ihre Umwelt wahrnimmt. Ghosting-Täter implizieren Unverbindlichkeiten und Beliebigkeiten, dessen Ausmaß von Zerstörung sie selbst nicht einschätzen können. Denn klar ist, dass Ghosting-Betroffene ein tiefes Gefühl von Verunsicherung erfahren und diese als Trauma an ihre nächsten Begegnungen weitergeben. »Verlustängste« und »psychische Störungen« heißen die zukünftigen Geister, die es neuen Partnern schwer machen sich darauf einzulassen, denn auch sie tragen wiederum ihre ganz eigenen Erlebnisse von vergangenen Beziehungen mit sich. Wie kommt jemand darauf, zum Geist zu werden? Wie kommt jemand darauf, einem anderen Menschen so etwas Gruseliges anzutun, wenn man bedenkt, dass niemand leiden möchte, auch wenn es einem vielleicht schon Mal genauso so ergangen ist; Gerade weil es einem schon Mal genauso ergangenen ist, weiß man doch, wie schlecht sich das anfühlt. Das erinnert mich an eine Filmszene, in der die Protagonistin ihrem Lover ins Ohr flüstert:

»Menschen, die oft verletzt wurden, sind gefährlich, denn sie wissen, wie man überlebt.«

Irgendwie ist das bei mir hängen geblieben.

»These are just ghosts that broke my heart before I met you,
These are just ghosts that broke my heart before I met you«