Erinnerungen an New York

 

 

 

New York 1987: Ein Jahr zwischen Streit und Unruhen. In diesem Jahr starben 16 Menschen bei einem »Amtrak« Zugunglück in Chase. Die sogenannte Iran-Contra-Affäre flog auf. Es war der größte Skandal in der Amtszeit von Ronald Reagan. Die USA hatten Waffen an den Iran verkauft, deren Erlös an die Contra-Rebellen in Nicaragua ging. Am 19. Oktober 1987 stürzten die US-Märkte ins Nichts. Der größte Kursrutsch innerhalb eines Tages beendete die Exzesse und die Naivität der achtziger Jahre. Der schwarze Montag ging als schlimmster Tag in die Geschichte ein. Außerdem sorgten Wirbelstürme über den Philippinen sowie zwei Flugzeugabstürze für Aufruhr. Kein Wunder, das in diesem Jahr das Antidepressionsmittel »Fluoxetin«, auch besser bekannt als »Prozac« den Markt eroberte.

Trotzdem war es eine spannende Zeit, ein Jahr in Umbruchstimmung und ein Neuanfang für den 23-jährigen John, der gerade frisch angekommen ist. Fassbinder’s Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ wurde inszeniert. Er lauschte den Klängen zu U2, er fühlte sich lebendig, er wusste, das war der Anfang seiner künstlerischen Karriere.

 

Ohne Plan, wohin die Reise geht, die Momente auskosten, wie sie kommen, das gefiel John. Er hatte nur wenig Geld, aber als Künstler würde er sich etablieren, wenn nicht heute, dann in den kommenden Tagen. Sein optimistisches Verlangen alles zu erreichen, was er sich vorgestellt hat, spornte ihn an. Ein Verlangen, das nur der Jugendlichkeit innewohnt. Er lebte in New York City, er war in der richtigen Stadt. Nachts ging er in verschiedene Jazz Bars, philosophierte mit Gleichgesinnten über die Zukunft, gemeinsame Projekte. Er hatte nur wenig Schlaf bekommen in den letzten Wochen. Eine Begegnung ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, diese Begegnung zwang ihn, zu Hause zu bleiben. Es passierte an einem Sonntagnachmittag, als er gerade eine Zigarette auf dem Balkon rauchte, da entdeckte er eine junge Frau gegenüber seinem Apartment. Die Frau war älter als er, er schätzte sie auf Anfang 30, sie war wunderschön mit langen, dunklen Haaren. Sie wohnte eine Etage tiefer und John konnte direkt in ihr Schlafzimmer blicken. Die zarten Gardinen wehten im Wind. Die Frau sah John und begab sich in ihr Bett. Sie spreizte ihre Beine und befriedigte sich selbst. Sie wusste, dass John sie dabei beobachtete und es gefiel ihr. Sie streichelte ihre Schamlippen, ihre Brüste, sie masturbierte vor seinen Augen, bis zum Höhepunkt. Dann lief sie wieder zum Fenster und schloss die Gardinen. John war kurz wie versteinert, seine Zigarette fiel unberührt auf den Balkonboden. Ein unglaubliches Erlebnis, das ihn nunmehr inspirierte.

Er ging zurück an seinen Schreibtisch und fing an zu skizzieren. Er brachte die aufregende Erfahrung mit seiner Nachbarin zu Papier und konnte seitdem an nichts Anderes mehr denken. Es war eine stille Vereinbarung. Nach einer Weile wartete er nur noch darauf, dass die Frau von Apartment B ihm wieder Einblick gewährte. Er studierte ihre Berührungen, die Geschwindigkeit wie sie ihre Klitoris streichelte, den Druck den sie dabei verwendete. Er würde lernen, was den Frauen gefällt, wie ein Schuljunge notierte er alles in seinen Skizzen. John gab ihr sogar einen Namen, er nannte sie Charlotte.

 

1987 war ein heißer Sommer in New York City. John drehte die Musik voll auf und tanzte. Er rauchte mehr als zuvor, mehrmals am Tag ging er auf den Balkon, um Charlotte zu sehen. Sie verführte ihn auf eine gewisse Art und Weise, sie provozierte ihn, vielleicht würde er sich ja trauen an ihre Tür zu klopfen, eine Ungewissheit, die beiden höchste Glücksgefühle bescherte. Wenn sie John entdeckte, entblößte sie sich nur halb, meistens trug sie ein Kleid, welches sie ein wenig für ihn lüpfte. Dann saß sie am Bettrand und zeigte ihm ihre glorreiche Weiblichkeit. Die schwarzen, dichten Schamhaare, ihre weichen Schamlippen, ihren Tempel. Manchmal blockierten die Gardinen, die durch den Wind getragen wurden seine Sicht. John lief auf dem kleinen Balkon hin und her, Charlotte schmunzelte. Eine Frau wie sie, wusste genau, was sie wollte. Sie hatte schon einige Liebhaber in ihrem Leben, das Spiel zwischen Reiz und Reaktion war ihr bestens vertraut.

An einem bedeutenden Abend, so erinnert sich John heute, kam ihm der Gedanke von einer Theaterinszenierung. All die gesammelten Fantasien entwickelten sich zu einem kompletten Werk. Er war der Zuschauer eines Lustspiels und es war nur eine Frage der Zeit, bis es nicht mehr aufgeführt werden würde, genau wie Fassbinder’s Theaterstück. An diesem Abend zeigte sich Charlotte erstmals komplett unbekleidet. Sie ging zum Fenster und streichelte ihren nackten Körper. Sie schob die zarten Gardinen zur Seite, sie wollte, dass John sie ganz genau beobachtete. Dann tauchte sie tief mit ihren Fingern in sich ein, mit der anderen Hand kreiste sie heftig um ihre Klitoris. Die Hände wechselten sich ab, das Tempo veränderte sich permanent. Sie spreizte weiter ihre Beine, blieb aber stehen. Er konnte sehen, dass sie heiß war. Ihre steifen Brustwarzen glänzten im Sonnenlicht und es war ihm, als würde sich die Feuchtigkeit über ihren ganzen Köper verteilen, wenn sie ihre Finger, die gerade noch in ihr vibrierten, über ihren Bauch streifte, hoch zu ihren Brüsten, am Hals entlang. Er sah, wie sie zitterte und dann wieder aufhörte, immer kurz, wenn sie davor war zu kommen. Sie ließ den Kopf nach hinten fallen, in Ekstase blickte sie ab und an zu John. Sie tanzte zu den leichten Sommerrhythmen, den natürlichen Bewegungen ihres Körpers.

 

Danach ging John nicht direkt zum Schreibtisch so wie üblich, um alles in seinen Skizzen festzuhalten, er berührte sich selbst, er masturbierte und kam schnell. Der klebrige Saft lief an seinen Fingern herunter und er genoss dieses Gefühl unerreichbarer Freuden. Es war der Orgasmus eines jungen Mannes. Als er am nächsten Tag gegen zwei Uhr nachmittags aufstand und zum Balkon lief stand die Wohnung leer, nur die Gardinen ließ sie zurück.

Es war 1987 in New York City. John verbindet diese Zeit vor allem mit den Anfängen seiner Karriere, die aus dem Nix entstanden ist und ihn heute zu einem berühmten erotischen Maler gemacht hat. Er denkt oft an die Momente mit Charlotte, die Jungfräulichkeit die in ihm ruhte und dem unaufhörlichen Grübeln, wie es wohl gewesen wäre, wenn er an ihre Tür geklopft hätte.