Sind Jugendliche heutzutage wirklich hemmungsloser?
Eigentlich gibt es ja nichts mehr, was es nicht gibt: Jeder macht es mit jedem, im Internet erzählen Podcastmoderatoren von ihrem letzten Orgasmus, Sex ist durch verschiedene Apps mit einem Klick leicht bestellt und Pornoseiten sind freier zugänglich als je zuvor. Eigentlich eine schöne Entwicklung, was die Offenheit und der Umgang mit der eigenen Sexualität betrifft, aber welche Auswirkungen hat das im Jugendalter? Sind wir für diese Offenheit schon gewappnet? Die Arte Dokumentation »Venus – Nackte Wahrheiten«, in der junge Frauen über ihre sexuellen Erfahrungen sprechen, hat mich aufmerksam gemacht. Sie sprechen darüber, was ihnen wichtig ist, wenn es um die richtige Partnerwahl geht, wie sie Ängste empfinden und mit Abneigung klarkommen, wie sie sich selbst und ihren Körper wahrnehmen. Eine unglaubliche Tiefe berührte mich, als ich in die Gesichter der Protagonisten sah, die aufrichtig über ihre Konflikte, dem Erwachsenwerden reden und sich dem Thema Lust völlig frei widmen. Selbst reflektiert und selbstbewusst stehen sie vor der Kamera und lassen sogar am Ende die Hüllen fallen. Doch wie frei können wir überhaupt sein in der heutigen komplexen Welt? Das Internet hat unser Selbstbild stark verändert. Zusätzlich wurde unsere gesamte Kulturgeschichte fast ausschließlich von der männlichen Sicht auf die Sexualität geprägt und Frauen erleben ihren eigenen Orgasmus erst relativ spät, da sie die eigene Luststimulation erst mal als nebensächlich betrachten. Ich stelle mir die Frage: Sind Heranwachsende heutzutage wirklich freizügiger, hemmungsloser und auch teilweise gleichgültiger als viele ihrer Eltern es bei ihren ersten sexuellen Erlebnissen waren? Und sind sie sich der Verantwortung ihres Körpers mit dem dazugehörigen zarten Seelenleben bewusst?
Zurück in die Vergangenheit
Wenn ich an meine Teenager Zeit denke, denke ich an unschuldige Versuche mich selbst zu befriedigen. Filme wie »Emanuela« oder »Die blaue Lagune« entfachten erste erotische Emotionen. Damals, Mitte der 90er gab es für unsere Generation aber auch noch keinen Zugang zu Internet und Handy und selbst die Pornofilme waren im Vergleich eher harmlos, als heutzutage, das ist eine Tatsache. Ich wurde 1982 geboren, die sogenannten Wendekinder, also ungefähr ab Geburtsjahrgang 1990, wurden als erste Generation primär über Internetpornografie sexualisiert, die sprichwörtliche »Generation Porno« entstand. Laut diversen Studien geht allerdings hervor, dass Jugendliche weniger Sex haben, als jemals zuvor, eine Studie, die mich selbst sehr überrascht hat. Grund dafür liegt in der Sexualisierung durch Pornografie. Männer schauen sich lieber Pornos an, als mit ihren Freundinnen zu schlafen. Immer mehr junge Männer vermeiden Sex mit ihrer Partnerin, erleben aber eine ausgeprägte sexuelle Selbstbetätigung mit Stimulation durch multimediale Internetpornografie. Es geht also nur um den eigentlichen Akt, der heutzutage nicht mehr wie früher vollzogen wird, weil die Menschen selbst Handanlegen, andere inspirierende Wege zur Luststimulation entdeckt haben und sich durch die Vielfältigkeit der entsprechenden Filme leiten lassen, das bedeutet aber nicht, das junge Menschen weniger sexuell erfahren sind, als früher, das genaue Gegenteil ist der Fall.
Fragen und Fakten zu Teenager-Sex
Früher Geschlechtsverkehr ist und bleibt eine Ausnahme, allerdings finden gleichgeschlechtliche erotische Experimente häufiger statt. Heute wächst die erste Generation heran, die in sexueller Hinsicht mehr darf, als sie will. Während wir uns früher Gedanken darüber gemacht haben, wo das erste Mal stattfinden soll, ob im Auto oder in der Wohnung eines Freundes, weil es zu Hause schlichtweg nicht möglich war, spielen solche Themen heutzutage kaum noch eine Rolle. Technisch wissen Jugendliche mehr als früher, ihre Einstellung zum Sex ist aber eher konservativ. Wenn Jugendliche Sex haben, dann zunehmend mit einem festen Partner – das gilt für Jungen wie für Mädchen. Ein Bedürfnis der Sicherheit also, statt einer lustvollen Entwicklungsreise mit verschiedenen Partnern? Oder sind das nur die wenigen Stimmen, die sich selbst stärker reflektieren und viel früher erwachsen werden, als wir damals? Heutzutage sind Beziehungen doch oft einfach mal unverbindlicher, stellenweise oberflächlicher. Halten wir etwa doch tief in unserem Inneren fest an den Dingen, die Halt suggerieren, die es uns so schwer machen, wirklich loszulassen?
Verantwortung
Eine Studie belegt, dass Jugendliche heutzutage gewissenhafter sind, was die Verhütung sowie die Vorbeugung von Geschlechtskrankheiten angeht. Das Kondom ist bei beiden Geschlechtern zwischen 14 und 25 Jahren das am häufigsten verwendete Verhütungsmittel, vor der Pille. Ihr Wissen zu Thema Sex und Verhütung eignen sich die Kids übrigens über das Internet an, während wir damals Dr. Sommers Ansätze aus der »Bravo« verfolgten. Eine beruhigende Prognose, wie ich finde, die mich von meinem Titel »Generation Gangbang« immer weiter entfernt.
Auswirkungen der frühen Sexualisierung durch Pornografie
Was aber passiert, wenn Jugendliche den ständigen Provokationen durch das Internet ausgeliefert sind und Techniken verfolgen können, von denen sie nicht mal gewagt haben zu träumen? Wenn sie Pornos als idealtypischen Sex konsumieren und das Verhältnis zur Realität verlieren? Dann wird es meiner Meinung schwierig ernsthafte und vor allem tief greifende Bindungen zu echten Personen aufzubauen, weil die bei diesen versauten Bildern gar keine Chance haben mitzuhalten und teilweise auch gar nicht wollen. Junge Leute müssen sich erst mal orientieren und herausfinden, was sie sich eigentlich für sich selbst wünschen, und was überhaupt nicht infrage kommt. Gerade unerfahrene Frauen, wie es mir die Dokumentation gezeigt hat, verschwinden manchmal im Gefühlschaos, geprägt von all den visuellen Einflüssen, dem gesammelten Know-how ihrer Freunde und es geht hauptsächlich darum, so vielen Erlebnissen wie möglich hinterher zu jagen, was nicht gleich bedeutet mit mehreren Männern zu schlafen, sondern mehrere unterschiedliche Konstellationen zu testen, wie gleichgeschlechtliche Liebe und Gruppensex. Eine Generation, die geflutet wird von richtungsweisenden Anforderungen bezüglich Sexualität. Sie stehen unter Druck und wollen mithalten, sie sind überfordert und letztendlich frustriert, weil sie vielleicht noch nicht so richtig herausgefunden haben, wie ein Blowjob wirklich gut gemacht oder die Vagina mit ihrer Vielschichtigkeit eigentlich gern berührt werden möchte.
Fazit
Werte, wie Treue und Verbindlichkeit bleiben wichtig, sie werden allerdings in einigen Fällen vom Sexualleben getrennt bewertet. Jugendliche finden in der Pornowelt ihre Selbstbestätigung, weil diese Welt nichts mit der realen Welt zu tun hat und weil sie dort frei experimentieren können, ohne dieses ständige Druckgefühl zu haben. Meine »Generation Gangbang«, oder wie ich sie mir vorstelle mit all den Generationen, die da noch folgen und die so leicht Zugang zu verstörenden Bildern finden, bleiben sich anscheinend treu, sie reflektieren viel schneller, wissen besser Bescheid über ihre Luststimulation, probieren sich aus, aber achten dabei auf ihre Gesundheit.
.