Goodbye Monogamie…

Ist die traditionelle Partnerschaft, wie wir sie kennen, noch zu retten? 

 

 

 

Wer sich noch nicht mit Polyamorie beschäftigt hat, sollte sich diesem spannenden Thema einmal annehmen. Als Single habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie ich mir meine nächste Partnerschaft vorstelle. Nachdem traditionelle Beziehungskonzepte immer nach demselben Muster verliefen, wusste ich recht schnell, dass eine dauerhafte Liebe nicht ausschließlich monogamer Natur sein kann. Mit dem Testen individueller Dating-Apps, dem Aufeinandertreffen vieler unterschiedlicher Sexualpartner, verfeinerte sich mein Bild. Ich kam der Idee näher, was ich mir wirklich wünsche. Es war nicht mehr das Gefühl von: »Ich weiß nicht richtig, was ich möchte, aber ich weiß zumindest, was ich nicht möchte«. Heute, nach einer langen Zeit des Singledaseins, weiß ich genau, was ich möchte und wie »Das« aussieht.

 

 

Gegenwärtig kann man Liebe und Zärtlichkeit in fast jeder denkbaren Kombinationsmöglichkeit erleben. Ich stand auf einmal vor vielen Begriffen, die mich bekehrten, und erhielt eine Art Einweisung in eine noch offenere Welt, als ich sie mir je hätte vorstellen können. Begriffe wie »Sapiosexuell«, »Demisexuell«, »Heteroflexibel« und »Pansexuell«, musste ich erstmal googeln, um diese visuellen Denkanstöße wirklich zu verstehen. Während sapiosexuelle Liebhaber sich nur auf das Innerste einer Person konzentrieren und Intelligenz als wichtigste Charaktereigenschaft empfinden, brauchen demisexuelle Zeit, sich auf jemanden einlassen zu können, Sexualität entsteht bei ihnen erst nach einer gewissen Nähe und Vertrautheit. Heteroflexible Männer sowie Frauen nehmen es mit den Geschlechtern nicht so genau und finden irgendwie beides scharf, ähnlich wie pansexuelle Menschen. Ein pansexueller Mensch ist in der Lage, für Individuen aller Geschlechtsidentitäten sexuelle oder romantische Gefühle zu empfinden.

Nach einer intensiven Recherche, und nur kleinen Beispielen an dieser Stelle, habe ich nachgedacht. Ich bin »Heteroflexibel«, da ich in gewissen Momenten ein aufregendes Verlangen spüre, wie ich mich manchen Frauen einfach nicht entziehen kann und auch nicht will. Das hat nie ein Thema gespielt, also zumindest habe ich mich immer als heterosexuell empfunden mit verführerischen Reizen hier und da. Ich reflektiere keine Begriffe, aber meine Wünsche, meine Vorstellungen und weiß, dass dies für mich nur in einer offenen Beziehung funktionieren kann. Vertrauen, dem Partner all seine sexuellen Begierden darlegen, sich zusammen ausprobieren und gemeinsam mit anderen Geschlechtern experimentieren.

Aber bedeutet das dann direkt Polyamourös? Ich möchte schon einen Partner an meiner Seite wissen, mit dem ich durch dick und dünn gehen kann, ohne ihn im Alltag mit einer anderen Person zu teilen, aber sexuell schon, und zwar meistens zusammen.

 

Monogamie versus Polygamie:

Monogamie kennt jeder und die meisten Paare leben in diesem Beziehungskonzept. Wie oft trifft man allerdings Paare, die unzufrieden sind und sich nach etwas anderem sehnen. Wie oft findet Betrug in solchen Fällen statt und wie oft gehen Liebende dann getrennte Wege, weil man dem Gegenüber nicht mehr in die Augen blicken kann. Unser traditionelles Wertesystem hat uns darauf getrimmt, wie man zusammen zu sein hat, was richtig oder falsch ist, aber das heißt nicht, dass jeder so empfindet. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass es durchaus Menschen gibt, die genau das mögen und auch nicht anders kennenlernen wollen, es gibt aber noch diejenigen, die so leben und eigentlich gar nicht dafür geschaffen sind. Darum geht es: Die eigenen Wünsche kommunizieren, darlegen, herausfinden, wie möchte ich letztendlich mit wem zusammenleben. Wenn sich jeder mehr reflektieren würde und dem Partner, die Wertschätzung gegenüber bringen würde, die man für sich selbst wünscht, würden dann nicht alle glücklicher sein?

Sind polyamore Beziehungen nicht am Ende trotzdem viel anstrengender, aber dennoch irgendwie direkter? Denn meiner Meinung nach ist dieses Beziehungskonzept alles andere, nur nicht beziehungsunfähig. Die Paare sind sehr bedacht, kommunikativ, wollen ihre Beziehung stärken. Einfach stur monogam zu leben und alles unter den Teppich zu kehren, bedeutet gleichzeitig den Weg des geringsten Widerstands zu wählen. Eigene Vorstellungen zu verhandeln, offen über Wünsche zu sprechen, führt zu einer viel tieferen Beziehung, aber macht sie gleichzeitig auch anstrengender.

 

Mehr als Sex:

Bei polyamoren Beziehungen geht es in erster Linie nicht um Sex, sondern um die Liebe zu mehreren Menschen. Nicht jede Person muss mehrere Partner haben und jeden dabei persönlich kennen.

Akzeptanz bildet einen wichtigen Gedanken: »Liebe ist nicht exklusiv, denn man kann nicht alle Bedürfnisse des anderen ganz alleine erfüllen.« Macht Sinn, aber so richtig kann ich mir das irgendwie trotzdem nicht vorstellen.

Wie offen sind wir wirklich? Kann unbegrenztes Teilen nicht auch schädlich sein? Ich habe dazu wie gesagt meine ganz eigene Meinung definiert und sehe mich selbst irgendwo zwischen Monogamie und Polygamie, allerdings mit einem hohen Maß an Offenheit. Begrifflichkeiten sind am Ende auch nur Begrifflichkeiten, ob der eine den anderen auf demisexueller Ebene begegnet oder sich allein mit dem polyamoren Beziehungsmuster identifizieren kann, ob er lieber ganz strikt monogam bleibt oder doch gar nix mit Sexualität anfangen kann. Alles ist Auslegungssache, solange jeder Einzelne für sich glücklich ist, und weiß, was Glück für ihn überhaupt bedeutet.

 

 

 „Treue ist die Anstrengung einer guten Seele, um sich einem Ideal anzunähern, das größer ist als sie selbst.“

Johann Wolfgang von Goethe