Poly Mon Amour

 

 

Ich dachte immer, ich weiß genau was ich suche, was ich fühle und wovon ich träume. Ich dachte immer, ich weiß, wie ich mir eine Beziehung vorstelle, zumindest ansatzweise. Ich gehöre auch zu der Generation, die sich von Liebesfilmen wie »Frühstück bei Tiffany« oder »Titanic« hat hinreißen lassen, eine Generation, wie geschaffen für solche irreführenden Halbwahrheiten. Nun ja, früher war das alles da, Partnerschaften entstanden einfach und sie hielten auch, zumindest für eine Weile. Aber auch ich geriet ins Wanken, nach mehreren Versuchen des Zusammenlebens, des Einswerden mit einer anderen Person, deren  tägliche Routine ganz anders aussah, als meine eigene. Aus hingebungsvoller Begierde entwickelte sich Freundschaft. Mein sexuelles Verlangen verschwand, als wäre es nie da gewesen. Kein Phänomen und trotzdem dachte ich lange darüber nach, wie solche Romanzen, wie ich sie nur noch schwammig aus meiner Erinnerung zusammenkratzen konnte, weiterleben würden, ein leidenschaftliches Feuer, das nie erlischt.

Nach zehn Jahren Metropolenwirrwarr nenne ich mich jetzt Berliner. Meine damalige Beziehung, die mit mir aus der Heimat anreiste, überlebte noch zwei weitere Jahre. Seitdem wohnen wir wie eine Familie zusammen. Eigentlich habe ich mich nie getrennt, irgendwie bin ich zumindest freundschaftlich immer treu geblieben, nur mein leidenschaftliches Feuer für andere Körper und deren Innenleben ist dabei nie erloschen. Die Hauptstadt schmeißt meine Realitäten immer wieder über Bord, mit jeder neuen Begegnung bekomme ich eine andere Vorstellung von Liebe. Jede neue Begegnung weckt andere Sehnsüchte in mir. Affären, die sich in praktischen Verbindungen verhaken und sich am Ende nicht trauen in irgendeiner Zugehörigkeit zu verharren; Liebe in der Stadt der Unentschlossenen und ich bin ein Teil davon.

 

Polymanie

Letztens war ich mit meiner Freundin Jane auf einem »Polytreffen« in Friedrichshain. Als wir die Bar betraten und uns erst mal einen kleinen Überblick verschaffen wollten, kamen wir gar nicht so weit. Wir zogen unsere Mäntel aus, setzten uns und wurden direkt von Steve in ein Gespräch verwickelt. Aus den  Augenwinkeln sah ich ihn schon euphorisch auf uns zukommen, wie ein Gepard, der neue Beute witterte und direkt angriff. Und das tat er auch, er setzte sich zu uns. Kurz fragte er, ob er störe, wir waren sprachlos und das störte ihn überhaupt nicht. Steve kam extra aus Brandenburg für diese Veranstaltung, und wie wir später erfahren sollten, auch mit einem ganz bestimmten Ziel. Er und seine Freundin Heidi suchten händeringend eine weitere Partnerin, die zukünftig mit ihnen den Haushalt in Brandenburg teilen würde. Heidi selbst klang dabei nicht so überzeugend wie der energische Steve und ich fragte mich für einen kurzen Moment, ob den beiden eventuell in ihrer Beziehung langweilig geworden ist. Viele zuversichtliche Charaktere begegneten mir an diesem Abend. Manche, die gar nichts mit Polyamorie anfangen können, sich diesem neuen Trend aber auch irgendwie nicht entziehen wollen, Menschen, die ihre eigene Beziehung mit einer dritten oder vierten Person auffrischen wollen, weil eine Person nicht reicht und Menschen, die sich einfach gar nicht festlegen, sondern diese Art von Treffen als perfekte Gelegenheit wahrnehmen, um sich hemmungslos durchvögeln zu können, oder zumindest auf Leute treffen, die ihre gegenwärtigen Idealvorstellungen teilen. Ja Poly mon amour, das ist auch ein Eindruck, den ich von dir bekommen habe; Zuletzt auf diversen Dating Apps, auf denen dieser Begriff vermehrt aufpoppt, als Ausrede, um sich nicht festlegen zu müssen.

 

Polytragi

Jeder von uns trägt sein ganz eigenes Päckchen an schmerzlichen Erinnerungen mit sich herum. Traumatisierte Erlebnisse aus vergangenen Beziehungen machen uns zu den Menschen, die wir heute sind. Da war jemand da, jemand dem wir uns so nah gefühlt haben und auf einmal existiert diese Episode in unserem Leben nicht mehr. Haben wir nicht eigentlich Angst uns einem Menschen wieder so annähern zu können, bedingungslos vertrauen, dass die Idee von einer polyamourösen Partnerschaft die perfekte Lösung scheint? Denn dann fällt es leicht, sich Optionen offen zu halten, den Schmerz, Schmerz sein lassen und nur Teile des eigenen Ichs an verschiedene Partner zu verteilen. Aber wie kann ich dafür garantieren, das ich bereit bin mehrere Menschen zu lieben, wenn ich es nicht mal aufrichtig für eine Person schaffe, geschweige denn für mich selbst? Oder habe ich da was falsch verstanden? Bedeutet polyamor leben nicht, mehr Liebe geben zu können, Liebe, die nicht nur für eine Person bestimmt ist und Liebe, derer nicht nur eine Person gerecht werden kann? Ein Gefühl von Zugehörigkeit, sich dem annehmen, was kommt, zuhören, agieren, Aufmerksamkeit schenken. Was passiert, wenn wir aufhören diesen wichtigen Bestandteil in unser Leben mit den dazugehörigen Mitmenschen zu integrieren? Wenn wir nur halb geben und nur halb nehmen können? Eine echte Tragödie von verlorenen Seelen verstummt angesichts verblasster Traumvorstellungen aus alten Tagen. Träume, die sich nicht erfüllt haben mit Geliebten, die wir für immer in unser Herz geschlossen hätten. Träume, die sich nur noch mit mehreren Reizen gleichzeitig befriedigen lassen. Polysein in Zeiten in denen wir verlernt haben erst mal Mono klarzukommen. Und ich frage mich:

Poly mon amour, wovon träumst du eigentlich?