Call an Uber
»Wir berechnen 100€ extra für Reinigungskosten«, steht in dem Brief der Uber Gesellschaft den Ryan öffnet, zwei Wochen nach seiner ausschweifenden Nacht in der Berliner Clubszene. Nur schwammig erinnert er sich an dieses Erlebnis. Der erste Impuls das Unternehmen anzurufen, erlischt im Nu, als kleine Bildfetzen sein Gedächtnis auffrischen.
Es war eine schwüle und vielleicht die letzte schöne Sommernacht in Berlin. Seit seiner Ankunft aus Kalifornien vor zwei Monaten hatte sich Ryan ins Großstadtleben gestürzt und fast ununterbrochen durchgefeiert. Er mochte die Leichtigkeit der Stadt, die Aussicht alles zu jeder Uhrzeit haben zu können, ein Sexdate, das einem wie Essen nach Hause geliefert wird, wenn einem danach ist. Er schätzte die unkomplizierten Begegnungen und wollte sich deshalb an diesem Abend erneut eine Verabredung wie diese gönnen.
Im Juni verabschiedete er sich von seiner Heimat LA. Viele Geschichten, viele Erinnerungen sollten ein Ende finden, er würde einen Neuanfang wagen in einem anderen Land. Ryan führte ein Leben auf der Überholspur. Mit Mitte 30 stand er kurz davor etwas wirklich Ernstes aufzubauen, doch das Glück sollte ihn dieses eine Mal verlassen. Für Rose hätte er seiner inneren Unruhe Auf Wiedersehen gesagt, aber Rose hat sich für einen anderen Mann entschieden. Unglücklich verliebt flüchtet er sich nunmehr in unterschiedliche Abenteuer. Warme Frauenbrüste schenken Geborgenheit und lassen ihn vergessen.
Berlin heißt Abstand, Berlin heißt aufatmen. Er hat sich schon mit einigen Menschen getroffen, sei es ein Rendezvous oder spontane Zusammenkünfte mit Leuten, die auf demselben Partylevel unterwegs waren. Meist waren diese Aufeinandertreffen allerdings nur oberflächlicher Natur, Ryan sehnte sich exzessiv nach körperlicher Nähe. Er ist noch nicht richtig angekommen. Seine Arbeitskollegen waren alle in ihrer eigenen Welt verloren und ihm wird bewusst, dass das Einzige was Berlin von LA unterscheidet, in der Einfachheit liegt, mit Fremden in Gespräche zu kommen und daraus etwas Bleibendes zu machen. »Aber das ist ja erst der Anfang, seit zwei Monaten bin ich gerade mal hier«, denkt er sich.
Maya betritt die »Dachkammer« in Friedrichshain, in der er schon hoffnungsvoll auf sie wartet. Nach ein paar Gläsern Wodka und einseitigen Gesprächen mit dem Barkeeper ist Ryan bereit für attraktive Gesellschaft. Maya ist durchaus attraktiv, sie erinnert ihn an die Frauen aus Hollywood und Beverly Hills, die irgendwie immer einen glanzvollen Auftritt hinlegen. Viel Make-up, gebleichte Zähne, High Heels, Minirock, durchtrainiert. In Berlin sind die meisten eher natürlich, kaum geschminkt, kein aufregendes Outfit, ganz natürlich eben. Er würde sich daran gewöhnen, aber für diesen Moment wünscht er sich eine Frau, die ihn an zu Hause erinnert.
Rose war speziell, mit Rose hatte er Pläne geschmiedet, wohlmöglich hatte er sich verliebt, aber jetzt ist er hier und Rose ganz weit weg.
Ryan hatte Lust zu tanzen, mit Maya das hier und jetzt in vollen Zügen zu feiern. »Kater Blau« war ihr Ziel: schwarze Gestalten im Nebeldunst, laute Techno Musik und die schöne Maya an seiner Seite. Ryan war euphorisiert und tanzte mit ihr viele Stunden. Sie hatten diese gewisse Kommunikation, sie waren jung, frei und heiß aufeinander. Sie waren so heiß aufeinander, dass sie fast im Club übereinander hergefallen wären, in einer dunklen Ecke saß sie auf seinem Schoß, knetete seinen steifen Schwanz und öffnete seinen Reißverschluss. Er könnte sie jetzt einfach vögeln ohne das es jemanden merken würde.
Es wird höchste Zeit den Ort zu verlassen. Ryan zückt sein Handy und wählt die Uber Nummer. »Uber« war ihm vertraut, er kannte diese Fahrdienstleistung bereits aus LA. Aber wie würde er es schaffen seine Hände von ihr zu lassen, ohne vorher zu explodieren? Maya wusste ihn zu begeistern, sie war scharf, sie kannte alle Knöpfe, die leicht zu bedienen waren. »Nur noch ein kleiner Schritt bis zu meinem Apartment«, dachte er sich. Aber der Weg aus Friedrichshain nach Charlottenburg würde eine Weile dauern und die beiden waren einfach zu sehr zugedröhnt, zu sehr mit sich beschäftigt, alles schien egal. Die Uberfahrerin beobachtete das wilde Treiben auf ihrer Rückbank, sie war wie versteinert, sie konnte nichts sagen, sie konnte nur schneller fahren.
Aus der Perspektive der Fahrerin muss die ganze Sache wohl so ausgesehen haben: Maya sitzt auf Ryan’s Schoß, ihr Slip ist heruntergerutscht, die High Heels ausgezogen. Ryan’s Finger verschwinden unter ihrem Rock, er streichelt die Haut um ihr Gesäß, er streichelt ihre Pussy. Sie stöhnen im Rhythmus der Musik, welche die Fahrerin auf höchste Stufe gestellt hat. Klassische Musik ertönt aus den Boxen. Ryan liebt klassische Musik. Er liebt die Reibung zwischen Maya’s warmen Schenkeln und ihre feuchte Pussy. Ab und zu erhascht er einen Blick der Fahrerin durch den Rückspiegel. In diesem Augenblick stellt er sich vor, wie ihn Rose durch den Spiegel betrachtet. Sie sieht ihn mit nur einer von vielen Frauen, die nun ihre Stelle eingenommen hat. Und er hat es nicht verlernt, er weiß, wie man sie befriedigt, er weiß, wie man sie alle glücklich macht. Ein Gefühl aus Leidenschaft und Macht überkommt ihn. Überheblichkeit gleicht so manche Schwächen aus. Er beobachtet die Fahrerin im Rückspiegel, er öffnet seine Hose und dringt in Maya ein.
»Wir berechnen 100€ extra für Reinigungskosten.« Ryan hält den Brief in seiner Hand und lächelt. Das war eine Nacht, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Maya hat er seitdem nie wieder gesehen, Rose kann er sowieso nicht mehr erreichen. Kurz schaut er auf und betrachtet sein zerkratztes Spiegelbild im ungeputzten Flurspiegel: »Da bin ich wahrscheinlich noch gut davongekommen«.