Der Klang der Nymphe

 

 

Sie ist Mitte Dreißig, als sich die Welt vor ihren Augen veränderte. Vera betrat die Praxis ihres Therapeuten wie immer mit Leichtigkeit und Neugier. Und dennoch fühlte sie sich nach jedem Treffen anders, wenn sie sie wieder verließ. Verschiedene Emotionen kamen plötzlich zum Vorschein, manchmal hatte sie Angst, aber meistens war sie mutig genug genau diesen Ängsten mit Ehrfurcht zu begegnen. Die Beziehung zu ihrem Therapeuten manifestierte sich zu einer Art Freundschaft. Sie hatte nicht mehr das Gefühl auf seine Hilfe angewiesen zu sein, genauso wenig, wie er die Notwendigkeit sah ihr weiterhin zur Seite zu stehen. Ihre Gespräche veränderten die Richtung; er entfernte das Drama aus dem Leid ihrer Vergangenheit und überließ ihr die Entscheidung zu den regelmäßigen Sitzungen zu kommen. Vera verstand diese Einladung als wichtige Grundlage, um tiefer in ihr Innerstes zu schauen und um ihre gesteigerte Sexualität zu reflektieren. Bevor sie das erste Mal die Praxis betrat, hatte sie nicht gewusst, das dies anders wahrzunehmen sei, bis ihr der Therapeut die Ausmaße der tief sitzenden Bindungsangst rekonstruierte. »Nymphomanie« war seine Diagnose, in der Sexualität zur Sucht wird und als Ersatzbefriedigung für wirkliche Liebe dient.

 

 Vera ist mit sich selbst und ihrer Umwelt im Einklang. Endlich hat sie einen Weg gefunden, ohne ständig wechselnde Partner, ihre Sexualität zu beherrschen, indem sie jeden Morgen masturbiert. Bevor der eigentliche Tag beginnt, geht sie duschen und befriedigt sich mit ihrem Lieblingsvibrator. Sie massiert mit der stärksten Stufe ihre Klitoris, während das warme Wasser ihre zarte Haut liebkost. Geborgenheit, das ist etwas, von dem Vera nur all zu gern träumt, welche sie aber gleichzeitig mit Unsicherheiten quält. Sie hat keine Erwartungen an die Liebe, vielmehr wünscht sie sich berührt zu werden, ohne Scheu es zuzulassen. Vera denkt dabei an ihre letzte Begegnung mit einem Mann, der sie ganz selbstverständlich berührte und durch sie hindurchschaute, wie ein Seelenverwandter, der aus dem Nichts auftaucht und die Membrane jeder einzelner Zelle mit einem Messer durchtrennt.

Sie besuchte wie jeden Sonntag das Aquarium, um die Fische zu beobachten. Eine zusätzliche Therapie, die Vera stets an eine andere Welt erinnerten, eine Welt, zu der sie nur zu gern Zugang hätte. Die Meeresbewohner beruhigten sie, stundenlang saß sie auf der Bank vor dem Becken der Quallen und blickte auf die sanften Bewegungen, die sie an eine Choreografie erinnerten, ein Tanz der Ruhe und Ausgeglichenheit. Der Mann setzte sich zu ihr und streifte ihre Hand. Sie zuckte zusammen. Viele Monate hatte sie auf Intimität zu anderen Menschen verzichtet, um sich selbst näher zu sein. Sie hat es vermisst. Diese Berührung und der Blick in die Augen eines Fremden fesselten sie. Er sagte nichts und hielt ihre Hand, als wäre es das Selbstverständlichste zwischen den Grenzen zweier Seelen und endloser Schwerelosigkeit. So saßen sie beide stillschweigend vor dem Quallenbecken und fühlten sich verstanden. Hin und wieder betrachtete Vera das Gesicht des Mannes, wie seine Pupillen den Bewegungen des Wassers folgten und sein Mund ein kleines Lächeln formte. Sie war sich sicher, dieses Gesicht schon einmal studiert zu haben, ohne Zweifel. Dennoch konnte sie es nicht zurückverfolgen. Es war eine seltsame Vertrautheit, der sie bereits begegnete, vielleicht an einem anderen Tag oder in einem anderen Universum. Seine bewusste Haltung gegenüber diesem Moment, der Respekt beim Betrachten der kleinen Lebewesen, all die Details, wie er ihre Hand küsste und wie er ihr danach in die Augen schaute; diese Schönheit, ließen ihre Ängste im Dunkel der Emanation verhallen.

 

In der Dusche spürt Vera, wie ihre Gedanken um dieses Ereignis kreisen und gleichzeitig, wie eine andere Hand Besitz von ihrem Vibrator ergreift. Sie schaut zwischen ihre Schenkel und die Finger, die behutsam ihre Klitoris massieren. Sie bemerkt, wie sich die Stufe des Vibrators verändert. Ganz leise und mit einem zarten Surren bewegt sich der rote Kopf des »Rabbits« nun durch ihre Beine, bevor er in ihre Scheide eindringt. Vera stöhnt vor Lust und dem Anblick ihres Lieblingstoys im Zusammenspiel zu den Händen, die genau wissen, wie sie sich bewegen müssen. Im Rhythmus des Wassers und der Gier, mehr sehen zu wollen, schlängelt sich Vera nach vorn bis sie mit ihren Händen den Boden berührt. Mit weit geöffneten Augen starrt sie auf den Schaft, der langsam in ihr verschwindet und wieder auftaucht und beobachtet, wie der Klitorisstimulator um ihren Kitzler kreist. Nur auf Zehenspitzen und mit dem Po in der Luft balanciert sie auf den Fingerkuppen. Sie will jeden Augenblick festhalten und sehen, wie ihr Vibrator gesteuert durch andere Hände leicht durch ihre Schamlippen gleitet und der Schaft durch kreisende Bewegungen ihre Scheide formt.

Eine Hand spielt mit dem Vibrator und um ihr Geschlecht, während die andere ihr Becken greift und sich stark durch das Fleisch ihrer Haut bohrt. Vera stöhnt in verschiedenen Tönen in der gläsernen Duschkabine und erzeugt einen Klangteppich aus tiefen, mittleren und ganz hohen Seufzern, die wie ein Echo im Nebel der Luftfeuchte still werden. Sie spürt wie einzelne Finger all ihre Öffnungen erkunden und das Beben um ihre Klitoris die Dynamik verändert. Sie sieht, wie einzelne Wasserstrahlen sich den Weg über ihre langen Beine bis zu ihren Füßen bahnen, wie sich die Hände zwischen ihren Schenkeln auf und ab bewegen und die Finger ihren Rhythmus verändern. Mit schnellen und harten Bewegungen spießen sie durch ihre Scheide und gleichzeitig durch ihren Anus. Der Vibrator fällt auf den Boden und wackelt fast choreografisch zur Erschütterung, die mit multiplen Orgasmen einhergeht. Vera lässt völlig los und kommt in regelmäßigen kurzen Abständen zum Höhepunkt, während die Finger ihre Öffnungen durchdringen und sich ihrem Geschlecht bemächtigen. In Stereo verschmelzen Klänge aus Lust und Geborgenheit und vereinen sich mit Veras Gedanken an einen speziellen Tag, an den Tag, als sie Liebe traf.