Cousine Katrin

 

Es war eine dieser Verabredungen, an die ich mich wahrscheinlich ewig erinnern werde. Ich traf Marcus ganz spontan, und relativ spät an diesem eher besinnlichen Samstagabend, den ich mir schon gemütlich in meinem Kopf eingerichtet hatte. Ich erwähne das so explizit, weil wahrscheinlich, das genau einer dieser Momente war, in dem ich normalerweise einfach im Bett geblieben wäre, anstatt mich zu verabreden, aber irgendwas hat mich doch noch dazu bewogen, diesen Mann kennenzulernen.

Wir trafen uns in meinem Kiez, in einer Bar, die ich sehr gut kannte. Ich war schon da, bestellte mir einen Gin Tonic und rauchte eine Zigarette. Dann kam Marcus mit einem verschmitzten Lächeln durch die Eingangstür der »Soylent Bar«. Er erinnerte mich etwas an »James Dean«, so ein Typ, der nicht viel machen muss, eine schüchterne Präsenz, aber dennoch sehr stark durch die wenigen Worte, die er benötigt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Marcus war so ein Typ und das wusste er genau. Er sah mich da sitzen und meinte direkt sehr vorwurfsvoll: „Du rauchst?“

Ich sah auf meine Zigarette, mir war klar, dass er in seinem Profil bei Ohlala den Nichtraucher Button aktiviert hatte. Was soll ich sagen, mir fällt es schwer, mich anders zu verhalten, als ich es normalerweise machen würde. Ich rauche gern in Kombination zu einem guten Gin und das wird auch immer so bleiben.

Der erste Schock war für den nichtrauchenden Marcus überstanden, allerdings war das Ausmaß noch nicht erreicht. Der Abend sollte noch viele Überraschungen parat halten, unabhängig davon, dass ich mich mit ihm in einer Raucherbar verabredete. Schlimmer ging es kaum noch! Ich weiß noch, dass ich die ganze Zeit dachte: »James Dean«, was für ein Mann und wie souverän er mit kurzen, kühnen Aussagen nur so um sich schmiss, da gehört eine Kippe im Mundwinkel einfach dazu.

Nun gut, Marcus war strikter Nichtraucher, und nachdem er uns ein zweites Glas Gin bestellt hatte, meinte er zögerlich: „Du, ich glaub, das wird heute Abend nix mit uns.“ Und meine Hoffnung, von einem heißen Happy End mit einem Typ, der mir optisch sehr gut gefiel, war im Nu zerplatzt.

Ich sagte: „Hey, Ok! Das kommt vor. Deswegen trifft man sich ja, um dann gemeinsam zu entscheiden, ob man weitergehen möchte.“ In dem Moment steckte ich mir direkt eine zweite Zigarette an, mit dem Wissen, das wir einfach nur einen gemütlichen Abend verbringen würden, ganz ohne Körperkontakt, ich machte mich also locker.

Marcus sagte: „Ja mit dem Rauchen, das ist ein echtes Problem und auch so …“ ich erwiderte: „Überhaupt nicht schlimm, du musst dich nicht rechtfertigen, so sind die Spielregeln, und wenn ich nicht dein Typ bin…“ er unterbrach mich „Das ist es nicht, du erinnerst mich an meine Cousine Katrin und das ist das Hauptproblem.“

»Cousine Katrin?«, dachte ich. Die Geschichte nahm eine dramatische Wendung und ich kippte einen großen Schluck Gin herunter.

Damit war das Schicksal nun endgültig besiegelt, nix würde hier mehr gehen, nicht einen Hauch von Erektion sollte ich verspüren, von diesem Mann, der schon längst einen Eindruck hinterlassen hat. Kurz erinnerte ich mich daran, dass ich eigentlich zuhause bleiben wollte.

C’est la vie, die Fakten lagen auf dem Tisch und wir beschlossen einfach Gin en masse zu trinken, zu reden und zu lachen.

Ich rauchte eine nach der anderen und fühlte den Alkohol bereits in meinem Körper, als wir die »Soylent Bar« verließen und entschieden noch zur Bar »Zum schmutzigen Hobby« weiterzuziehen. Diese Bar war eher ein Tanzclub für Schwule und Lesben der jüngeren Generation und übrigens ein Raucherschuppen!!!

Da waren wir nun, umzingelt von hüpfenden Teens die zu 90er Jahre Mucke völlig ausflippten. Marcus bestellte uns noch einen Gin Tonic und ich wusste, wenn ich nicht bald selbst tanze, wird mir der viele Gin zu Kopf steigen. Aber Marcus hatte ganz andere Pläne. Seine Wohnung war nämlich unmittelbar in der Nähe von der Bar »Zum schmutzigen Hobby« und ich glaube, in diesem Moment gelallt zu haben: „Von wegen Cousine Katrin!“

Wir standen in seiner Wohnung und ich kann mich nicht erinnern, wann ein Mann das letzte Mal so leidenschaftlich über mich hergefallen ist, es sei denn, wir waren verliebt, ohne wirklich zu atmen und den ganzen Kram.

Marcus war ein Tier, er überrumpelte mich, kurz nachdem der Schlüssel ins Schloss fiel. Er schmiss mich aufs Bett, riss mir die Kleider vom Leib. Ich hatte keine Chance, ich fühlte mich kurzzeitig wie in einer dieser Dokumentationen, wo ein unschuldiges Reh von einem wilden Leopard gerissen wird, nur das ich kein unschuldiges Reh war. Ich werde nicht weiter auf die Details dieses eskalierenden Szenarios eingehen, aber von einem Moment auf den nächsten war ich nüchtern. Ich fragte mich, wie wir überhaupt hier gelandet sind, nachdem ich schon längst meine ganzen Hoffnungen über Bord geworfen hatte. Ich hatte sogar vergessen, nach dem Geld zu fragen. Nachdem er fertig und ich völlig außer Atem war, viel mir doch noch dieses nicht unwichtige Übereinkommen unserer Verabredung ein.

Ich zog mich an, Marcus lag auf dem Bett, das einem Kriegsfeld gleichkam, verschwitzt aber happy. Als er mich zur Tür begleitete, erinnerte ich ihn an das Geld und er ging etwas zögerlich in die Küche, um es mir zu überreichen. Ich denke, für einen kurzen Moment wollte er mir suggerieren, dass bei dieser vollkommenen Nacht, eigentlich kein Geld von Nöten gewesen wäre. Er hatte aber auch vergessen, dass ich auf so ein Ende überhaupt nicht eingestellt war und mit meinen Gedanken schon friedlich zu Hause im Bett schlummerte.

Das Geld, das er mir dann doch noch zusteckte, hatte in ihm wahrscheinlich erneut etwas Animalisches ausgelöst. Er sah mich da so stehen mit den bunten Scheinen in der Hand, angezogen, bereit nach Hause zu gehen, da packte es ihn wieder. Ich hatte die Türklinke schon in der Hand, als er mir die Jeans samt Slip herunterriss, und mich nochmals überwältigte.

Ich war perplex. So was habe ich auch noch nicht erlebt, dachte ich, während ich die ungewöhnlich stillen Straßen von Friedrichshain nach Hause lief. Cousine Katrin und der Fakt, dass ich rauchte, waren am Ende doch nicht so schlimm wie angenommen. Oder hatte er tatsächlich einfach einen animalischen Hang zum Verbotenen? Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken, nicht in dieser Nacht, vielleicht ein anderes Mal wieder.