Fremde

 

 

Genau vor einem Jahr verbrachte Lila zwei Wochen in Kalifornien. Sie plante einen Roadtrip mit einem Fotografen aus New York, der sie sehr inspirierte. Sie teilten dieselbe Leidenschaft und schrieben fast täglich, ohne einander jemals begegnet zu sein. Lila liebte solche Abenteuer, sie waren ganz und gar nach ihrem Geschmack. Tausend Fantasien konnte sie auf diese Weise auf eine Person projizieren. Die Vorstellung, eine Reise durch die Wüste Kaliforniens mit einem Fremden zu verbringen, turnte sie an.

In LA quartierte sich Lila über Airbnb in einem Vintage-Trailer ein, der in einem riesigen Loft stand. Im Art District in Downtown LA fühlte sie sich besonders wohl. Zwei Tage lief sie ziellos durch die Straßen und schoss Bilder. Sie lernte einen Uber Fahrer kennen, als sie sich auf den Hügeln verlief und der Weg zurück unendlich weit entfernt schien. Der Uber Fahrer zeigte Lila seine Stadt, er fuhr mit ihr am darauffolgenden Tag nach Hollywood, Santa Monica, Malibu und Beverly Hills. Sie knipste ihre Fotos und lud ihn als Dank zum Diner ein. Irgendwie passiert das ständig, wenn Lila alleine reist, wird irgendjemand immer aufmerksam, sieht ihre Kamera und will ihr seine persönlichen Eindrücke zeigen. Einen Abend verbrachte Lila mit einem Mann, den sie über die amerikanische Dating App »WhatsYourPrice« kennenlernte. Natürlich war sie neugierig und wollte wissen, wie ein Paid Date in Amerika funktioniert. Sie hatten keinen Sex, aber einen guten Abend mit Drinks und Flirtereien, so viel dazu.

 

Lila freute sich sehr auf die bevorstehende Zeit mit Jimi, sie fantasierte über ihre erste gemeinsame Nacht in Palm Springs und dem originellen Hotel, welches er zuvor gebucht hatte: dann, wenn fremde Körper aufeinandertreffen, getrieben von Hitze und Erregtheit. Sie ging zurück in ihren Trailer und streichelte ihre Oberschenkel, die von der kalifornischen Glut ganz schwitzig waren. Lila stellte sich vor, wie Jimi’s Hände an ihren inneren Schenkeln auf und abwanderten, wie seine Finger sanft über ihren Slip streiften, um dann hastig darunter zu schlüpfen. Nur allein dieser Gedanke brachte sie zum Höhepunkt. Sie wollte ihre Finger nicht selbst einführen, sie wollte all diese neuen Begegnungen aufbewahren. Er sollte nach langer Enthaltsamkeit, der Erste sein, der in sie eindringt. Seine Gestalt kreiste in ihrem Kopf herum, seine großen Hände ruhten auf ihren zierlichen Schenkeln. Lila war immer hin und hergerissen zwischen feingliedrigen Körpern, die eine gewisse Weiblichkeit ausstrahlen und denen, die männlicher nicht sein konnten.

 

Fremd hat sie sich mit Jimi nie gefühlt. Als sie sich trafen, war er genauso, wie sie sich ihn vorgestellt hatte. Maskulin, stark, mit den markanten Gesichtszügen eines Navajos. Sie brauchten nicht viele Worte, dieses Verständnis lag tiefer und die Reise hatte gerade erst begonnen. In ihren Fantasien träumte Lila von wilden Sexszenarien, während sie hier und da die geplanten Orte besuchten. Sie wünschte sich ein nicht enden wollendes Liebesabenteuer gepaart aus Leidenschaft und Erkundung. Jimi hatte allerdings andere Vorstellungen. Er wollte Lila kennenlernen, ihr freundschaftlich begegnen und ab und zu auch mal über sie herfallen, sein Interesse galt dem Erforschen von Landschaften und nicht einzig dem Erforschen ihres Körpers. Lila brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass dies hier anders laufen sollte, als sie es sich gewünscht hatte. Sie spielten sich aufeinander ein. Auf einmal überkam sie das Gefühl die wichtigen Etappen übersprungen zu haben, sie fühlte sich mit Jimi so vertraut, als hätten sie schon eine lange Zeit der Partnerschaft hinter sich gelassen. Erschöpft fielen sie Nacht für Nacht auf die Hotelbetten, zu viele Eindrücke mussten reflektiert werden, die Wüstenhitze tat ihr übriges. Lila und Jimi überquerten die Route66, Temperaturen von 47 Grad erreichten ihren Höhepunkt.

 

Sie pflegten einen sehr liebevollen Umgang miteinander und erzählten sich intime Geständnisse aus der Vergangenheit. Jimi mochte diese Vertrautheit, das Gefühl eine fremde Freundin an seiner Seite zu haben, turnte ihn an. Dann bestieg er Lila und umarmte ihren kleinen Körper, als wäre dieser Körper sein Besitz. Lila gefiel, wenn Jimi sich von dieser Seite zeigte, oft hatte sie dieses unbändigeVerlangen so stark wahrgenommen, das sie innerlich verglühte und der süße Saft über ihre Schenkel floss. Sie lechzte nach seiner Aufmerksamkeit, sie sehnte sich nach seinen Berührungen. Die Distanz, die er ab und zu kreierte, machte ihr zu schaffen und gleichzeitig fühlte sie sich dadurch noch stärker zu ihm hingezogen. Wenn er sich nahm, wonach ihm der Sinn stand, empfand sie Begehren. Er brauchte sie nur anzuschauen, mit seinen Fingern über ihren Bauch zu streifen und sie kam zum Höhepunkt. Wenn er in sie eindrang, krallte sie ihre Fingernägel in sein Fleisch. Sie wollte, dass er sie ständig ausfüllte, leise und erschöpft flüsterte sie in sein Ohr: »Please, don’t stop!«.

Die Tage wurden kürzer und der Moment des Abschieds rückte immer näher. Am Strand von Venice Beach lag sie in seinen Armen und überlegte, wie es danach weitergehen würde. Sie dachte an New York, sie dachte an Berlin, sie dachte an Kalifornien. Er brachte sie zum Flughafen, sie umarmten sich, sagten »Goodbye«, ließen los und verblieben schweigend.

 

Noch heute denkt Lila gern an diese Erinnerungen, die in ihr eine andere Sehnsucht geweckt haben. Jimi hat ihr mehr gegeben, als die heiß ersehnten Nächte, in denen ihre Körper unaufhörlich ineinander verschmolzen. Er gab ihr das Gefühl angekommen zu sein, mit ihm fühlte sie sich heimisch. Am liebsten philosophiert sie über die letzten gemeinsamen Stunden im Sand von Venice Beach, an dem sie mit ihrem Kopf in seinen Armen lag, seiner Atmung lauschte, während Jimi ihre Hände noch lange festhielt und der Duft von verbranntem Holz Lila’s Nasenflügel durchströmte. »Dein Duft bleibt in der Luft zurück!«