Sex für Menschen mit Behinderung

 

 

Frisch vom »Hurenkongress« komme ich mit einigen neuen Erkenntnissen und Inspirationen, die ich zum einen schon mit Pascal in unserem Podcast teilen konnte und nun auch auf diesem Weg mit meinem Artikel über »Sexualbegleitung / Sex für Menschen mit Behinderung.« Ein spezielles Thema, über welches nicht jeder richtig informiert ist und trotzdem nach wie vor kritisch behandelt wird.

 

Sexualassistenz und Sexualbegleitung:

Sexualassistenz umfasst alle Maßnahmen, die in Anspruch genommen werden, um Sexualität leben zu können, wenn die Betroffenen aufgrund ihrer körperlichen oder geistigen Einschränkung auf Hilfe Außenstehender angewiesen sind. Die Sexualbegleitung als professionelle aktive Sexualassistenz ist eine kostenpflichtige sexuelle Dienstleistung. Die praktischen Inhalte der Sexualbegleitung werden bedürfnisorientiert zwischen Sexualbegleiter*innen und deren Kunden individuell ausgehandelt, Geschlechtsverkehr ist möglich.

Sexualbegleiterin Deva Bhusha war Teilnehmerin beim Hurenkongress. In vergangenen Interviews erzählte sie bereits von ihrem Alltag mit behinderten Menschen sowie den Umgang in unserer Gesellschaft mit Behinderung und Sexualität. Es bleibt nicht aus, das Sexualbegleitung gleichgesetzt wird mit normaler Prostitution. Deva selbst ist Mitglied im Berufsverband erotischer und sexueller Dienstleistungen (BesD) und findet die Arbeit aller Sexworker spannend, ob Domina’s, Bizarrladies, Escort’s oder auch Tantramasseure. Dass ihre Therapieart oft mit Prostitution gleichgesetzt wird, stört sie deswegen nicht. Sie hat nicht diesen Beruf gewählt um sich abzugrenzen, sondern aus Interesse andere Aspekte kennenzulernen. Warum wird also auch eine Form der Sexarbeit wie diese immer noch stigmatisiert? Haben behinderte oder ältere Menschen in unserer Gesellschaft nicht genauso ein Recht auf körperliche Nähe, so wie alle anderen auch? Und was passiert eigentlich in einer Session mit einer Sexualbegleiterin?

 

Die sexuelle Aufklärung ist beim Thema Menschen mit Behinderung noch nicht angekommen. Hervorgerufen durch Unsicherheiten sowie verklemmte Gedanken unterliegt die Sexualität von Frauen und Männern mit Behinderung immer noch einem Stigma. Dabei geht es bei der Sexualbegleitung nicht nur um reine sexuelle Aktivitäten, sondern vor allem auch um Zuneigung, Liebe und Selbstbestimmung. Durch den finanziellen Aspekt, bekommt die Jobbeschreibung schnell den Stempel »Prostitution« auferlegt, aber natürlich geht es um eine Dienstleistung, die im Prinzip genauso wie allgemeine Therapiesessions behandelt werden sollte. Ziel ist es, Sexualität als erotische Erfahrung zu erleben. Doch der Prozess des Umdenkens wird noch so wie bei allen anderen sexuellen Dienstleistungen andauern.

Die Berufsbezeichnung »Sexualbegleiter« ist nicht geschützt und jeder kann sich im Prinzip diesen Titel geben. Allerdings gibt es auch schon Angebote, in denen durch ein fundiertes Ausbildungsprogramm am Ende dieser Beruf durch ein Zertifikat bestätigt wird. Momentan übernehmen weder Krankenkassen noch der Staat die Kosten einer Sexualbegleitung für behinderte Menschen. In Deutschland wirbt die Beratungsorganisation Pro Familia seit Jahren dafür zu klären, ob sich Ansprüche einzelner auf Finanzierung der Sexualassistenz durch die Krankenkassen, die Sozialhilfe oder andere staatliche Leistungsträger ableiten lassen. Nach Einschätzung von Experten wünschen sich viele Männer und Frauen mit Behinderungen sexuelle Dienstleistungen.

 

Worauf es ankommt

Bei der ersten Sitzung  findet meistens ein Beratungsgespräch zwischen Kunden und Sexualbegleiter*innen statt. Dieses Gespräch bietet eine gute Grundlage, um sich besser kennenzulernen und die Bedürfnisse des jeweiligen Menschen richtig einschätzen zu können. Nach der ersten Sitzung folgt eine zweite intime Session, in der sich quasi beide Körper einander vorstellen. Ein Aufbau einer Ebene des körperlichen Wohlgefühls und der Entspannung folgt. Es geht hier bei nicht um Performance, sondern ganz klar sich dem Körper des Menschen voll zu widmen. Geschlechtsverkehr kann eine wichtige Komponente in der Sitzung darstellen, muss aber nicht. Jeder Sexualbegleiter hat seine ganz eigenen Methoden, um vor allem Zuneigung körperliche Wärme und Geborgenheit zu schenken. Denn dieser Teil wird oft vergessen, wenn man sich überlegt das jeder Mensch ein sexuelles Wesen ist, der hier und da Berührungen, Zuneigung und sexuelle Interaktion braucht. Wieso sollte also ein behinderter oder alter Mensch darauf verzichten? In einer Gesellschaft, in der solche Werte sowieso schon an Farbe verloren haben. Wir sehnen uns doch alle nach Berührungen, Intimitäten und dem Gefühl von Geborgenheit.

Richtiger Sex sollte eine Erfahrung sein und auf Gefühlen beruhen – nicht abhängig von der Performance sein. Ich habe nichts gegen Pornos – ich persönlich liebe sie – aber manchmal können sie die falsche Nachricht vermitteln, was Sex betrifft. Sagt die amerikanische Sexualbegleiterin Kendra Holliday in dem Zusammenhang.

Eine wichtige und nicht zu vergessene Eigenschaft stellt die Selbstliebe dar. Nur wer mit sich selbst im Reinen ist, kann diese Liebe an seine Mitmenschen mit all ihren Facetten weitergeben, egal welche optischen oder körperlichen Einschränkungen vorhanden sind. Ein sensibler Job, der ein hohes Maß an Empathie benötigt. Wenn man sich aber einmal für diese Berufung entschieden hat, wird man sicherlich bewusst den richtigen Weg für sich gefunden zu haben. Denn was kann es Schöneres geben, als Menschen, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu helfen, die sich isoliert von der Gesellschaft fühlen, in einem Raum von Geborgenheit mit Nähe und Vertrauen sexuelle Freuden zu schenken und Sicherheit zu vermitteln.